Nadel, Faden, Hackebeil
schwer. Er sieht sich zu Onis um. Der schnarcht schon wieder, dass sich die Balken biegen. Aber falls sich ein böser Mann ins Haus geschlichen hatte und Mozes angreifen sollte, würde Onis das selbst in seinem Hundeschlummer bestimmt sofort merken, aufwachen, aufspringen und ihm zu Hilfe eilen, daran zweifelt Mozes keine Sekunde. Onis ist ein braver Hund!
Aber Mozes ist kein braver Junge.
Hicks.
Vorsichtig schiebt er die Küchentür auf.
Im ersten Moment sieht er nichts weiter als den großen Holztisch, auf dem mittig die Torte thront.
Dann entdeckt er seine alte Schlummerlampe auf der Anrichte. Afrikanische Tiere drehen sich um die Glühbirne im Kreis und werfen Schatten an die Wand. Seit kurzem kann er ohne die Lampe schlafen, aber entsorgen will Mama das Teil nicht, falls er einen Rückfall bekommt, und deswegen hat Fela sie auch immer dabei, wenn er mit Mozes aushäusig schläft. Jemand hat die Schlummerlampe in die Küche getragen und eingeschaltet. Bestimmt Karina, denkt Mozes, die macht immer so lustige Sachen.
Mozes schiebt die Küchentür etwas weiter auf.
Da!
Er bekommt einen Schreck.
In der schattigen Ecke am anderen Ende des Küchentisches! Eine Gestalt, leblos über einem aufgeklappten Laptop liegend!
Hicks!
Doch wenn Mozes etwas
nicht
ist, dann furchtsam. Er zieht geräuschvoll die Nase hoch und macht einen Schritt in die Küche. Zwei, drei, vier Schritte. Vorsichtig. Leise. Dann steht er direkt vor dem Mann.
Es ist Olaf.
Erleichtert atmet Mozes aus.
Olaf liegt inmitten lauter Rechnungen. Offenbar hat er gerade seine Buchhaltung gemacht, als der Sandmann vorbeikam. Sein Bildschirmschoner ist ein Haifisch. Mit Onkel Olafs Kopf auf der Tastatur sieht es so aus, als ziehe der Hai gierig seine Kreise um das Masseurhaupt und werde jeden Moment zuschnappen.
Mozes bleibt einen Moment unschlüssig stehen. Sein Schluckauf ist weg. Der Appetit ist noch da. Jetzt weiß er auch wieder, welches Geräusch ihn geweckt hat: das Grummeln seines Magens. Wenn er jetzt eine Marzipanrose von der Torte nimmt, merkt das doch kein Mensch. Da sind ja noch sooo viele andere. Seine kleine schwarze Hand schiebt sich der Torte entgegen.
Irgendwo im Haus hustet jemand. Die Hand erstarrt.
Das Echo des Hustens verhallt. Die Hand wird unaufhaltsam weiter ausgefahren. Und wieder eingezogen.
Eine rosa Marzipanrose landet in einem Bubenmund.
Dann noch eine.
Und weil aller guten Dinge drei sind, noch eine weitere.
Weil Mozes nicht will, dass Onkel Olaf von seinem Kauen aufwacht, isst er mit geschlossenem Mund – somit hat das Ganze auch noch einen erzieherischen Wert.
Am Ende ist die Torte völlig rosenlos. Mozes’ Magen sendet erste Übelkeitssignale, und seine Augen fallen ihm vor Müdigkeit fast zu. Aber bevor er zurück ins Bett geht, denkt er noch daran, seine Spuren zu verwischen. Er verstreut ein paar Marzipankrümel über die Rechnungen von Onkel Olaf.
Sollte sich Mozes jemals für eine Verbrecherlaufbahn entscheiden, würde er zweifellos ein Superverbrecher werden. Wie Blofeld. Nur ohne Perserkater, dafür mit Hovawart.
06 : 30 Uhr
Zorn macht verworrn.
Altväterlicher Sinnspruch
Pünktlich um halb sieben am nächsten Morgen trat Irmgard Seifferheld in die Küche.
Die Torte wirkte im Licht der Deckenleuchte obszön nackt, mit lauter offenen Wunden dort, wo sich die Marzipanrosen befunden hatten.
Daneben lag, immer noch schlafend, Olaf, in dessen Sabberfäden die von Mozes verstreuten Marzipankrümel dümpelten.
Die Beweislage war eindeutig: Masseur Olaf, Beischläfer ihrer Nichte Susanne, hatte ihre Torte geschändet!
Der Tag fing nicht gut an.
Vor allem nicht für Olaf.
07 : 20 Uhr
Wie Dr.Kimble auf der Flucht – wobei Kimble
immerhin noch der Hauch der möglichen Unschuld umwehte,
diese Flüchtigen jedoch echt Dreck am Stecken hatten …
Exakt um zwanzig nach sieben fuhr der Stadtbus der Linie 1 an der Haltestelle Spitalbach los.
Mozes flüchtete vor dem Zorn von Tante Irmi. Er war vor einer knappen Stunde von ihrem Gebrüll »Mein Gott, in was für einer Welt leben wir denn, wenn niemand mehr Respekt vor den Torten anderer hat« aufgewacht.
Karina flüchtete vor sich selbst. Sie war mit dem dumpfen Gefühl aufgewacht, dass sie in ihrem Leben nichts auf die Reihe bekam – weder ihr Studium noch ihre politischen Anliegen. Und ihre Männergeschichten schon gar nicht! Wieso baute sie immer Bockmist? Wie blöd konnte man sein?
»Und wir sehen echt richtige Elefanten?«, fragte
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