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Nadel, Faden, Hackebeil

Nadel, Faden, Hackebeil

Titel: Nadel, Faden, Hackebeil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Kruse
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mit der Hand energisch auf den Stuhl.
    »Die Zeit läuft uns davon. Hopp!«
    Kurz darauf saß sie kopfschüttelnd am Fußende des Behandlungsstuhls und inspizierte seine Füße, die sie zuvor in warmer Seifenlauge eingeweicht hatte. »Eine Herausforderung«, meinte sie nur, zog den Mundschutz hoch und machte sich an die Arbeit. Die erste offizielle Pediküre in Seifferhelds Leben. Nach dem Nägelkürzen und Hornhautfeilen kamen das Einölen und die Reflexzonenmassage.
    Seifferheld hatte anfangs protestieren wollen, aber als das ätherische Geschöpf mit den zarten Händen in den Einmalhandschuhen seine Füße zu umsorgen begann, beschloss er, erst einmal mitzuspielen und sich dieser Erfahrung hinzugeben. Das warme Öl und die streichenden Bewegungen über Sohle und Rist sandten ungeahnte Gefühlswallungen durch seinen Körper.
    Der Zauber flog auf, als eine knappe halbe Stunde später jemand an der Praxistür klingelte und rief: »Hallo, hallo, jemand da? Hier Gedecke. Manfred Gedecke. Ich habe den Bus verpasst. Hallo?«
    Es war kurz peinlich, aber Seifferheld hatte schon Peinlicheres erlebt. Er zog Socken und Schuhe wieder an und schwebte wie auf Wolken in das kleine Büro von Frau Schöller-Pfaff, direkt neben dem Behandlungsraum, in dem sich nun Manfred Gedecke entkleidete. Will heißen, untenherum frei machte. Im Fußbereich.
    »Ich wollte das Missverständnis ja aufklären, aber Sie haben wahre Wunder an mir gewirkt. Ich konnte mir diese Gelegenheit dann einfach nicht mehr entgehen lassen. Bitte entschuldigen Sie.« Seifferheld schaute angemessen zerknirscht.
    Frau Schöller-Pfaff fühlte sich ein klitzekleines bisschen geschmeichelt, das merkte man. »Macht dann bitte fünfunddreißig Euro.«
    Er gab ihr vierzig. »Eigentlich wollte ich Sie nur fragen, ob Sie Katharina Runkel kurz vor ihrem Tod noch einmal gesehen haben?«
    Frau Schöller-Pfaff sah auf. Ihr Blick war plötzlich verschleiert. »Was?«
    »Kiki Runkel?« Seifferheld, der ja nicht in offizieller Mission unterwegs war, erklärte lieber erst einmal zu wenig als zu viel.
    Frau Schöller-Pfaff zog ein Kleenex aus einer Schachtel neben dem Telefon und schneuzte sich. »Kiki, die arme Kiki.« Sie stopfte sich das eingeschneuzte Tuch in den linken Kittelärmel. »So zu sterben!« Sie schniefte. »Dabei war sie immer so furchtbar lustig. Immer. Wir haben sie auch die Kichererbse genannt. Gott, was haben wir gelacht!« Tränen kullerten über ihre reichlich mit Make-up zugekleisterten Wangen.
    Seifferheld ließ ihr Zeit.
    Manfred Gedecke nicht. »Ich bin dann so weit!«, rief er aus dem Behandlungszimmer.
    »Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?«, fragte Seifferheld.
    »Am Tag vor ihrem Tod. Mittags. Es ging ihr nicht gut, weil …« Sie zögerte.
    »Ihr Gesicht, nicht wahr?«, lieferte Seifferheld das Stichwort.
    Sie sah ihn nur an.
    »Botox?«, fragte er.
    Frau Schöller-Pfaff nickte. »Das Alter setzte ihr zu. Sie wollte sich unbedingt Botox spritzen lassen. Um wieder jünger auszusehen. Sie wäre nämlich demnächst vierzig geworden.« Ein weiteres Schneuzen.
    »Zu wem wollte sie gehen?«
    »Was?«
    »Wegen der Botox-Injektion. An wen wollte sie sich diesbezüglich wenden?«
    »Keine Ahnung, ich habe ihr noch abgeraten. ›So viel Geld und wofür?‹, habe ich gefragt. ›Damit du so eine erstarrte Fratze bekommst wie ein steinernes Standbild?‹« Sie schniefte neuerlich. »Wir haben uns deshalb richtig gezankt. Bei unserer allerletzten Begegnung haben wir uns gestritten. Das verzeihe ich mir nie!«
    »Meine Füße werden kalt!«, beschwerte sich Gedecke lauthals auf dem Behandlungsstuhl.
    »Ich komme.« Frau Schöller-Pfaff wollte zu ihm.
    »Haben Sie sie danach noch einmal gesprochen? Vielleicht am Telefon?«
    In der Tür zum Behandlungsraum drehte sich Frau Schöller-Pfaff noch einmal um. »Ja. Wir haben telefoniert. Es muss irgendetwas schiefgelaufen sein. Sie sagte, sie wüsste nicht, wie sie jetzt noch unter Menschen soll. Ich habe gelacht und gesagt, das geschieht dir recht. Können Sie sich das vorstellen? Ich habe gesagt: ›Geschieht dir recht!‹ Meine letzten Worte an meine allerbeste Freundin waren Spott und Hohn. Das werde ich mir niemals verzeihen. Niemals!«

21 : 02  Uhr
    Backe, backe Kuchen
Das Schicksal hat gerufen …
     
    Irmi buk.
    Wenn andere Menschen Gewissensqualen litten, trieben sie Sport oder meditierten oder suchten Vergessen im Alkohol, nicht bedenkend, dass Alkohol konserviert, auch Kummer.
    Irmgard Seifferheld

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