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Nächsten Sommer

Nächsten Sommer

Titel: Nächsten Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Rai
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schön.
    Tagsüber ist das
Louis
Café. Wer will, kann hier sogar frühstücken: |121| Café au lait und ein halbes Baguette mit Jeannes selbsteingekochter Aprikosenmarmelade. Abends dann, wenn das
Louis
zur Kneipe wird, wechselt Jeanne für ein paar Stunden hinter den Tresen und Louis auf den Bouleplatz. Kein Leben wie im Märchen, aber ganz schlecht ist es auch nicht. Es ist so, wie es ist, und so, wie es ist, hat Jeanne es sich gewählt.
    Was Louis bis heute nicht versteht, ist die Sache mit Jürgen. »Da wäre mir ja Alphonse noch lieber gewesen«, war sein Kommentar. Zehn Jahre lang hatte das Dorf darauf gewartet, wer bei Jeanne den Zuschlag erhalten würde, und dann verschenkte sie ihr Herz an einen deutschen Motorradcowboy auf der Durchreise.
    Jeanne hätte es Louis gerne erklärt, weshalb ausgerechnet Jürgen, aber sie verstand es selbst nicht. Nicht wirklich. Jürgen war ein Macho, der zu viel trank, der grob sein konnte und launisch. Und Schuld hatten immer die anderen. Außerdem machte er mit Maria rum und mit wer weiß wem noch. Trotzdem liebte er Jeanne. Oder wie immer man das nennen mochte. Brauchte sie. Auf jeden Fall war er da. Wenn es etwas zu reparieren gab, dann machte er das. Und er hatte sie nie geschlagen. Mag sein, dass es bessere Gründe gab, um jemandem die Treue zu halten, aber so war es mit allem: Ein »besser« gab es immer. Außerdem: Finde mal einen vernünftigen Mann in dieser Gegend. Entweder er geht stramm auf die hundert zu, oder er hat nicht genug Grips, um seine Finger zu zählen.
    Jetzt ist es ohnehin zu spät. Eine Trennung würde Jürgen niemals akzeptieren. Letzten Sommer hat er im Vorbeigehen den Kopf eines Touristen gegen den Tresen geknallt und ihm die Nase gebrochen, einfach so, weil er Jeanne auf den Hintern gestarrt hatte.
     
    Vorhin hat sie Jürgen aus dem Ort fahren sehen. Kurz darauf Maria. Dieselbe Richtung. Wie jeden Samstag. Jeanne fragt nicht nach. Sie weiß es sowieso. Der ganze Ort weiß es. Sogar Alphonse. Nur Maurice, Marias Mann, ist nicht im Bilde. Aber der ist generell selten im Bild. Für den ist das Leben immer noch ein großes Räuber-und-Gendarm-Spiel, nur dass er inzwischen eine echte Uniform und eine echte Pistole trägt.
    |122| Auch Louis hat Jürgen vorbeifahren sehen. Und Maria.
Wie lange willst du das noch mitmachen?
, sagte sein Blick, als er ihr das Tablett mit den Getränken über die Theke schob. Ebenfalls wie jeden Samstag. Das Schlimmste aber waren die mitfühlenden Blicke, mit denen Alphonse sie bedachte:
Warum hast du nicht mich genommen? Ich würde dich jeden Tag deines Lebens auf Händen tragen. Und mit dem Saufen hätte ich auch nicht anfangen müssen.
Was konnte es Traurigeres geben, als von einem bemitleidenswerten Menschen bemitleidet zu werden?

|123| 24
    Am Ortseingang teilt sich die Straße. Entweder man fährt nach Pui hinein oder für immer daran vorbei. In der Gabelung hängt ein überlebensgroßer Jesus unter einer Laterne und blickt mitfühlend auf die Vorbeikommenden herab: rechts oder links. Die Entscheidung liegt bei dir.
    »Wow«, sagt Bernhard, als wir den Dorfplatz erreichen, »echte Menschen.«
    Damit ist der Bann des Schweigens gebrochen.
    »Essen!«, ruft Lilith, »ich brauche was zu essen!«
    Im Umkreis des Platzes gibt es nirgends eine Parkmöglichkeit, und die Gassen sind so eng, dass jedes parkende Auto sie versperren würde, also wende ich und stelle den Bus abseits des Platzes an der Durchfahrtsstraße ab. Der Grad unserer Erschöpfung zeigt sich, als es darum geht, auszusteigen und die 300 Meter zum Dorfplatz zurückzugehen.
    »Ich hab Beine wie ein junges Fohlen«, bemerkt Lilith, und damit ist alles gesagt.
    Dennoch kann sie letzte Energiereserven freisetzen, als wir auf den Platz kommen und mitansehen müssen, wie der Pizzawagen seine Pforten schließt. Der Dampf dringt noch aus den Ritzen, als Lilith gegen den Verschlag klopft.
    »Fermé!«, tönt eine robuste Frauenstimme aus dem Inneren.
    »Glaubst du«, murmelt Lilith, geht auf die Rückseite und zieht die Tür auf.
    Zehn Minuten später werden fünf Pizzaschachteln durch den Türspalt gereicht.
    Keiner von uns kann mehr stehen. Zoe, die einigermaßen Französisch beherrscht, fragt Jeanne, ob wir uns mit den Pizzen an einen Tisch auf dem Platz setzen dürfen.
    »Naturellement«, antwortet Jeanne lächelnd.
    Das ist der Moment, in dem in Marc etwas Merkwürdiges vor |124| sich geht: unfassbar wie ein Geist und dennoch klar und eindeutig wie ein

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