Nächsten Sommer
laufendem Motor vor dem Platz. »Beeilung!«, ruft er.
Lilith steht an der Kante und schätzt die Höhe ab. »Wenn ich mich umbringen wollte, wäre ich im Canyon geblieben!«
»Los, spring!«, ruft Bernhard.
In dem Moment kommt Maurice in seinem Polizeiwagen um die Ecke und schaltet die Sirene ein.
»Haut ab«, ruft Lilith und legt sich bäuchlings auf das Vordach, »wir treffen uns später auf dem Marktplatz!«
Marc lässt den Bus anrollen. »Bernhard!«
Bernhard rennt los und hechtet in den fahrenden Bus.
Ich drehe meinen Oberkörper so, dass ich nach vorn blicke. »Links!«, rufe ich.
Marc reißt den Bus herum, taxiert ein aus zwei Scheunen gebildetes Nadelöhr und tritt das Gaspedal durch.
Unser Fluchtversuch erweist sich als ziemlich sinnloses Unterfangen. Maurice hat uns längst entdeckt und mit seinem nagelneuen Peugeot 308 die Verfolgung aufgenommen.
»Rechts!«, rufe ich.
Bernhard wird durch den Bus geschleudert und klatscht gegen die Seitenscheibe. Bei der nächsten Linkskurve kann er sich in letzter Sekunde an der Führungsschiene der Schiebetür festhalten, während die Fliehkraft seinen Körper aus dem Bus weht. |134| Durch einen verzweifelten Sprung rettet er sich zu Zoe auf die Rückbank und stößt mit dem Fuß die Schiebetür zu.
Wir jagen ziellos durch die Gassen, doch das Geheul der Sirene und das Blaulicht sitzen uns im Nacken. Es gibt keine Chance für Maurice, uns zu überholen, ebensowenig wie für uns, ihn abzuhängen.
»Was jetzt?«, fragt Marc.
»Rechts«, antworte ich.
Marc blickt in den Rückspiegel: »Du musst dir etwas Besseres einfallen lassen, der klebt uns am Arsch wie Kaugummi!«
»Wie wär’s mit Anhalten?«, ruft Zoe. »So machen wir doch alles nur noch schlimmer!«
Marc sieht mich an.
Ich ziehe die Schultern hoch. Klingt plausibel.
Ein Krachen zerschneidet das Geheul der Sirene.
»Hat der etwa gerade
ge schossen
?«, ruft Marc, während ein Blumenkübel unter dem Vorderrad zerquetscht wird und er den Bus eine steile Gasse hinaufzwingt, in der wir eigentlich steckenbleiben müssten, es aber aus irgendeinem Grund nicht tun.
»Glaube schon«, antworte ich.
»Der hat sie doch nicht alle!«, ruft Bernhard entrüstet.
Im selben Augenblick kracht ein zweiter Schuss durch die Gassen. Plötzlich hat die Heckscheibe ein Loch und ist von tausend feinen Adern durchzogen.
»Großer Gott!«, brüllt Zoe, »halt an, Marc! Der schießt auf uns!«
»Und was, glaubst du, macht er, wenn ich anhalte – uns zum Tee einladen?!«
»Halt an, Marc, ich bitte dich!«
»Ich glaube, Zoe hat recht«, sage ich.
»Den Fehler hab ich schon einmal gemacht. Seitdem hab ich ein Loch im Bein!« Marc versucht, einen Haken zu schlagen, und jagt unter einem Torbogen hindurch. Aber mit dem Bus Haken zu schlagen ist ungefähr so, als würde man versuchen, sich mit einer Grillzange die Augenbrauen zu zupfen.
Im Lichtkegel tauchen zwei Katzen auf und retten sich in einen Hauseingang. Bei dem Ausweichmanöver neigt sich der Bus zur |135| Seite und kippt nur deshalb nicht um, weil ihn ein Fenstersims in die Spur zurückschiebt. Danach rammt Marc zwei Müllcontainer und hält auf die nächste Gasse zu.
»Das ist ’ne Einbahnstraße!«, brüllt Bernhard.
»Du meinst, wir riskieren einen Strafzettel?«
Wir kommen auf einen wohnzimmergroßen Platz, umfahren im Slalom parkende Autos und tauchen in die nächste Gasse ein. »So hängen wir den nie ab!«, ruft Zoe.
»Willst
du
lieber fahren?«, fragt Marc.
Mit röhrendem Motor rasen wir in eine Senke, setzen auf, zwängen uns am Brunnen und dem alten Waschhaus vorbei und finden uns plötzlich auf dem Dorfplatz wieder. Die Verwunderung, die wir hervorrufen, könnte kaum größer sein: Die zwei Dorftrottel, die das natürliche Gegengewicht zu den beiden Intellektuellen im Ort bilden, der englische Exilkünstler, Menschen, die zwischen diesen Mauern geboren und alt geworden sind – so etwas hat noch keiner von ihnen erlebt. Zigaretten kleben an geöffneten Lippen, Boulekugeln hängen an ausgestreckten Armen in der Luft.
Zweimal umkreisen wir das Zirkuszelt und ziehen Maurice wie an der Hand hinter uns her, bevor wir mit quietschenden Reifen den Bouleplatz umrunden, gefolgt von den ungläubigen Blicken der Spieler.
»O Scheiße«, ruft Zoe, »ich muss mich übergeben!« Zwei Sekunden später würgt sie ihre unverdaute Pizza und den Wein auf den Boden.
Marc entscheidet sich für die Straße neben dem Rathaus, und wir stürzen erneut ins
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