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Nächsten Sommer

Nächsten Sommer

Titel: Nächsten Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Rai
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Gassengeflecht. Ein dritter Schuss fällt.
    »Versuch’s mal links«, sage ich, »hier waren wir schon.«
    Ein Haus rast auf uns zu, dreht im letzten Moment ab, und dann rennt plötzlich direkt vor uns eine mit einem String-Tanga bekleidete Frau aus einem Hauseingang, ihre Kleidungsstücke eng an die Brust gepresst. Sie reißt die Augen auf, doch statt zur Seite zu springen, lässt sie nur ihre Sachen fallen und kreuzt die Arme vor dem Gesicht.
    »Links!«, schreie ich und sehe ihre nackten Brüste am Seitenfenster vorbeifliegen.
    |136| Durch die Heckscheibe erkenne ich, wie die Frau über die Straße taumelt und Maurice nichts anderes übrigbleibt, als eine Vollbremsung zu machen, die ihn eine Handbreit vor ihren Füßen zum Stehen bringt, und das auch nur, weil er bei dieser Gelegenheit seinen Wagen gegen eine Steintreppe rammt.
    »Rechts!«, rufe ich.
    Wir lassen die letzten Häuser hinter uns und holpern über einen Kiesweg. Irgendetwas wird unter den Bus geschleudert. Dann stehen wir auf einer Wiese zwischen zwei Olivenbäumen, vor uns nichts als Nacht, im Rücken die erleuchteten Fenster des Dorfes.
    »Wir sollten das Licht ausmachen«, schlage ich vor.

|137| 26
    Als Jeanne nach Hause kommt, liegt Jürgen bäuchlings in ihrem gemeinsamen Bett. Nackt. Von seiner Hüfte stehen seitlich zwei Beine ab, wie bei einer Spinne. Sie gehören Maria, Maurices Frau, die unter ihm liegt, mit der Matratze verschmilzt und immerfort quiekt: »Oui, oui, ouiiii!« Sie ist ziemlich laut, und das, obwohl Jürgen eine Hand auf ihren Mund gepresst hält.
    Maria bemerkt Jeanne, bevor Jürgen es tut. Sie hört auf zu quieken und versucht, etwas zu sagen, doch da Jürgen ihr den Mund zuhält, kommt nur Gegurgel heraus. Schließlich schlägt sie ihm auf den Hintern.
    »Je m’en occupe!«, sagt er. Ich mach ja schon.
    Doch Marias Leidenschaft ist die Luft ausgegangen. Stumm deutet sie zur Tür.
    Jürgen nimmt die Hand von Marias Mund und hört auf zu vögeln. »Was machst
du
denn schon hier?«, fragt er.
    Jeanne geht in die Küche, setzt sich an den Tisch und wartet darauf, dass Maria endlich die Wohnung verlässt. Nicht zu Hause. Das war das ungeschriebene Gesetz. Sie konnte über alles hinwegsehen, sofern es nicht zu Hause in ihrem gemeinsamen Bett passierte.
     
    Unterdessen erhält Maurice, der noch auf dem Bouleplatz zugange ist, einen Notruf seines Vaters – direkt auf das Sprechfunkgerät des Wagens: »Ah Maurice, misérable bon à rien!«, krächzt Gilberts Stimme über den Platz, »lâche la boule sur le champ et viens ici!« Maurice, du elender Nichtsnutz! Lass sofort die Kugel fallen und komm her!
    Maurice tut, wie ihm geheißen: lässt seine Kugel fallen, überspringt den Baumstamm, der den Platz begrenzt, und eilt im Laufschritt zu seinem Wagen. Gilbert erklärt ihm, was er für einen Schlappschwanz zum Sohn hat und dass dieser Schlappschwanz |138| gefälligst seinen Arsch in Bewegung setzen soll, weil Gilbert höchstselbst von seinem Fenster aus gerade Zeuge wird, wie zwei betrunkene Deutsche versuchen, den Bankautomaten neben dem Kino zu knacken. Als rechtschaffener Bürger würde er sie ja auf der Stelle selbst erschießen, doch die Leute veranstalten ja neuerdings wegen jeder Lappalie ein Riesengeschrei. Maurice überprüft den Sitz seines Holsters, schaltet das Blaulicht ein und jagt vom Platz.
     
    Eine halbe Ewigkeit vergeht, ehe Maria alle ihre Klamotten eingesammelt und endlich die Tür hinter sich zugezogen hat. Jürgen kommt aus dem Schlafzimmer und stellt sich in den Türrahmen. Er hat sich nicht einmal etwas angezogen – ein Tier, das aus sämtlichen Poren nach Sex riecht und aus nichts als Trieben besteht. Er ist nicht gekommen, hat nicht abgespritzt. Gleich sprengt ihm das Testosteron die Schädeldecke weg.
    »Ich hab heute fünf Menschen das Leben gerettet«, sagt er, als erkläre das alles andere.
    Plötzlich ist die Gasse von Sirenengeheul erfüllt. Ein Auto rast vorbei, ein anderes bremst, direkt vor dem Haus, und schrammt gegen die Mauer. Blaues Licht flackert an der Küchendecke. Jürgen geht zum Fenster und blickt auf die Straße. Unten steigt Maurice gerade aus seinem Polizeiwagen und fragt sich, was seine Frau um diese Zeit, mit einem String-Tanga bekleidet, vor Jeannes und Jürgens Wohnung zu suchen hat. Kurz darauf erstirbt die Sirene.
    Jürgen tritt vom Fenster zurück: »Was ist«, fragt er, »kommst du ins Bett, oder willst du hier sitzen und flennen?«
    Jeanne reagiert nicht. Jürgen will

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