Nächsten Sommer
unter deinem T-Shirt. Findest du nicht, dass da ein bisschen …« – er tastet nach Liliths Brust, greift aber daneben – »Wiedergutmachung angesagt ist?«
Lilith benötigt einige Sekunden, bevor sie sein Gesicht scharf gestellt hat. »Bist du bescheuert, oder was?« Sie wischt seine Hand von ihrer Brust. »Ich lasse mich doch nicht von einem Pitbull vögeln! Außerdem – du musst jetzt sehr stark sein – stehe ich nicht auf Männer.«
|145| Jürgen kratzt sich hinter dem Ohr, erst links, dann rechts. »Worauf denn sonst?«
»Auf Frauen, du Hirni. Bin ’ne Lesbe.«
Jürgen macht ein Gesicht, als habe sich die attraktive Blondine mit den Hammertitten schlagartig in einen Riesenlurch verwandelt. Lesben überfordern ihn irgendwie. Total. Frauen, die auf Frauen stehen – was soll denn das für einen Sinn ergeben?
»Is’n Witz?«, sagt er.
»Hab doch gesagt: Du musst jetzt stark sein.«
»’ne Dosenklapperin …« Jürgen schüttelt ungläubig den Kopf. »Ist echt nich mein Tag.«
In seinem Gehirn verdrahten sich einige Synapsen neu, zusätzlich klinkt sich eine Sicherung aus. Die körperliche Folge davon ist, dass er ausholt und Lilith eine gerade Linke ins Gesicht drückt, die daraufhin vom Hocker kippt und auf die gemusterten Fliesen schlägt. Mühsam setzt sich Lilith auf und hält sich die Nase.
Jürgen schlägt keine Frauen. Hat er sich mal geschworen. Und immer daran gehalten, egal, wie voll er war. Ist scheiße irgendwie. Macht man einfach nicht. Lesben allerdings zählen nicht. Hat etwas in ihm soeben entschieden. Die fünf Gestalten, die außer ihm und Lilith noch in der Bar sitzen, schweigen. Machen sie die ganze Zeit schon – schweigen. Nicht einmal Louis hat genug Arsch in der Hose, seinen Mund aufzumachen. Nur die Frau auf dem Flatscreen in der Ecke reißt die Augen auf und schreit.
Lilith ist aufgestanden. Sie spürt, wie ihre Nase anschwillt. Und blutet. Sie zieht sich eine Handvoll Servietten aus dem Spender, drückt sie gegen ihre Oberlippe, sagt »Danke für den Whiskey, Arschloch«, und geht. Und weil sie nicht weiß, wohin, und es mittlerweile zu regnen begonnen hat, torkelt sie über den Dorfplatz, lässt sich auf die Bank in der Kirchennische fallen und kauert sich gegen den weich gewaschenen Sandstein.
Während sie darauf wartet, dass ihre Nase zu bluten aufhört, sieht sie einen kleinen Mann über den Platz gehen, im Stechschritt. Er trägt eine Polizeiuniform, einen Pistolengürtel sowie eine schief sitzende Mütze, von deren Blende Wasser tropft. Vor |146| dem
Louis
angekommen, hält er kurz inne, schlägt die Hacken zusammen und reißt die Tür auf.
Maria hat ihrem Mann alles gebeichtet. Das heißt: Gebeichtet ist das falsche Wort. Sie hat Maurice einfach sämtlicher Illusionen beraubt, die er noch hatte. Was sollte sie es noch länger beschönigen? Ihr Mann geht auf die vierzig zu und spielt noch mit Modellbaupanzern. Nicht einmal seine Uniform kann es rausreißen. Letztlich sieht er in ihr nur noch alberner aus. Und diese Mütze! Ständig rutscht sie ihm ins Gesicht. Und weil Maria sowieso gerade dabei war, ihrem Mann
alles
zu sagen, womit sie ihn jahrelang verschont hatte: Mit dem, was er in der Hose hat, kann er vielleicht einen Cockerspaniel befriedigen, nicht aber seine Frau.
»Wie lange geht das schon?«, wollte Maurice wissen. Alles andere interessierte ihn nicht.
»Mit Jürgen?« Maria verdrehte die Augen. »Mein Gott, keine Ahnung. Ich weiß nicht mehr, wann es angefangen hat.«
Daraufhin hat Maurice sie geohrfeigt, doch geholfen hat das nichts. Weder ihm noch ihr.
»Bemüh dich nicht«, war Marias einziger Kommentar.
Keine zwei Minuten nachdem sich die Tür des
Louis
hinter Maurice geschlossen hat, geht sie wieder auf. Heraus kommt: Jürgen. Gegen die Unterlippe hält er ein Knäuel Servietten gepresst. Lilith richtet sich auf. Jürgen sieht ihren Umriss in der Nische sitzen, und weil auch ihm dieses Dorf keinen anderen Zufluchtsort mehr bietet, stolpert er durch den Regen und setzt sich neben ihr auf die Bank.
Nach einer Weile fragt Lilith: »Nase?«
»Lippe«, antwortet Jürgen.
»Geschieht dir recht.«
»Hm.«
Der Regen wird stärker. Das
Louis
leert sich. Die Show ist vorbei. Der Sicherungskasten in der Platane gibt warnende Geräusche von sich. Er zischt und knackt, und dann wird es dunkel auf dem Platz.
»Kannst du dich nicht woanders hinsetzen?«, fragt Lilith.
Jürgen bewegt sich nicht. Seine Arme hängen schlaff von den |147|
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