Nächsten Sommer
Meinung interessiert bin, dann frage ich danach.«
Er will sich wieder mir zuwenden, doch wenn es etwas gibt, das Zoe nicht erträgt, dann, nicht für voll genommen zu werden. Jetzt sitzt sie ihm im Nacken.
2542.
2667.
2795.
2926.
3060. Die 45. Etage ist vollendet. Ich stehe vor einer Wand aus Karten.
»Ob Sie an meiner Meinung interessiert sind, interessiert mich |183| nicht«, sagt Zoe. »Haben
Sie
die Schlösser auswechseln lassen?«
Seine Stimme schiebt die Luft vor sich her wie eine Bugwelle: »Selbstverständlich habe
ich
die Schlösser auswechseln lassen. Wer denn sonst!?«
Zoe wechselt Stand- und Spielbein und kreuzt lässig die Arme vor der Brust – Verhandlungsführung für Fortgeschrittene. »Schätze, dann sitzen Sie ganz schön in der Scheiße.«
»Wie bitte?« Seine Stimme steigert sich zu einem Orkan. »Wie war das gerade?«
3197.
3337.
3480. 48 Etagen. Mein Kartenhaus überragt sogar das Haus von Onkel Hugo.
»Sie sitzen in der Scheiße«, erklärt Zoe gelassen. »Auf jeden Fall kriege ich Sie dran wegen Einbruchs in Tateinheit mit Diebstahl. Nach Paragraph zwei zweiundvierzig StGB wird das mit bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug geahndet, auch wenn es sich, wie in diesem Fall …«
»Halt den Mund, Göre!«, befiehlt mein Vater.
»… Auch wenn es sich in diesem Fall nicht um eine bewegliche Sache handelt. Zur Begründung: ›Der Diebstahl ist vollendet, wenn der Täter fremden Gewahrsam gebrochen und neuen begründet hat.‹«
Plötzlich verdunkelt sich der Raum, was weniger mit meinem Vater zu tun hat als mit dem Umstand, dass Marc, Jeanne und Bernhard auf der Terrasse auftauchen und zögerlich ihre Köpfe hereinstrecken.
Zoe beginnt, ihre Finger abzuzählen: »Des Weiteren – kommt ruhig rein, je mehr Zeugen, desto besser –, des Weiteren haben Sie sich der Nötigung schuldig gemacht. Ist ebenfalls ein Straftatbestand, Paragraph zwei vierzig StGB, maximal drei Jahre Freiheitsentzug. Und drittens, Paragraph eins dreiundzwanzig beziehungsweise vierundzwanzig StGB, liegt hier die ›vorsätzliche Verletzung des verfassungsrechtlich geschützten Gutes der Unverletzlichkeit befriedeter Besitztümer‹ vor. Zu Deutsch: Hausfriedensbruch. Ebenfalls Straftatbestand.«
|184| Marc, Jeanne und Bernhard sind inzwischen eingetreten und stehen vor der Terrassentür, als habe mein Vater zum Appell geblasen. »Tag, Herr Neubauer«, sagt Marc.
Ich nehme die nächste Karte vom Stapel, schleudere sie in mein Kartenhaus und bringe alles zum Einsturz. Vor mir liegen 3481 Karten, die ich im Geiste zu einem Kreis von 59 Stapeln à 59 Karten anordne.
Mein Vater bläst sich auf wie ein Ballon. »Ich will dieses Haus, also bekomme ich es auch!«
Zoe, die sich inzwischen vor mich gestellt hat, zieht sämtliche Register. »Alles, was Sie bekommen, ist einen Haufen Ärger. Tatbestandsmerkmale für Hausfriedensbruch sind: Das vorsätzliche Eindringen gegen den Willen des Berechtigten in näher bestimmte Räumlichkeiten oder das Sich-
nicht
-Entfernen aus diesen Räumlichkeiten trotz der Aufforderung eines Berechtigten. Mit anderen Worten …«, jetzt bläst auch Zoe sich auf, »wenn Sie Ihren Arsch nicht augenblicklich durch diese Tür schieben, geht er Ihnen auf Grundeis!«
Ich verkleinere den Kreis, indem ich jeweils einen Stapel wegnehme und die restlichen um eine Karte reduziere. 3481 – 59 – 58 = 3364 oder 58 Stapel à 58 Karten. 3249. 57 Stapel à 57 Karten.
»Hör zu, Grünschnabel: Das hier ist kein Kindergeburtstag, und deine Paragraphen interessieren mich einen feuchten Kehricht. Für mich arbeitet ein halbes Dutzend Anwälte, die mir den ganzen Tag nichts anderes erklären, als dass Paragraphen einzig zu dem Zweck dienen, ausgehebelt zu werden. Ich werde mich also ganz sicher nicht von ein paar verschissenen PARAGRAPHEN aus diesem Haus vertreiben lassen!«
Auf einmal ist es sehr still. Zoe hat ihr Pulver verschossen, mein Vater ebenfalls. Keiner weicht von der Stelle. Die Vögel im Garten nehmen ihren Gesang wieder auf. Von selbst wird er nicht gehen, so viel ist klar. Die Frage, wer im Recht ist, hat mit Moral zu tun, und mit so etwas kann mein Vater nichts anfangen. Genau genommen langweilt Moral ihn zu Tode. Die Blicke im Raum richten sich auf mich.
In Zeitraffer schnurrt mein imaginärer Kartenkreis zusammen: 3136, 3025, 2916, 2809, 2704, 2601, 2500, 2401 … Zum Schluss |185| liegt nur noch die eine Karte vor mir, mit der ich vor zwei Minuten mein 48 Stockwerke hohes Kartenhaus
Weitere Kostenlose Bücher