Nächte im Zirkus
ein blondes Mädchen, das weinte, und ein Koloß, gekleidet wie ein Bauer, der sie in einer fremden Sprache tröstete. Und ein kleiner Mann in gestreiften Hosen, der immer wieder schrie - wenn die Frauen ihn hätten verstehen können - »Ich bestehe darauf, den amerikanischen Konsul zu sprechen.« Und dann ein Paar primitive radlose Karren, von weiteren Banditen dahergezerrt, auf denen mit Decken verhüllte Formen lagen, eine still, die andere aber brüllend und schreiend. Und eine kleine dunkle, grauhaarige Frau, die in einer Sprache vor sich hinmurmelte, die verschieden war von der, welche die anderen benutzten, doch auch nicht Russisch. Alles höchst unerwartet. Und dann noch mehr Banditen.
Doch es war die buntscheckige Korona, die die Prozession beschloß, welche die Frauen sich bekreuzigen ließ, denn dies waren Männer jeglicher Größe und Form - manche zwergenklein, andere lang und hager wie Wäscheleinenpfähle, kaum ein Dutzend, in den zerfetzten Überresten einer einst höchst seltsamen Kleidung. Manche hatten große rote Nasen, andere große schwarze Ringe um die Augen, doch die Farbe blätterte von ihren Gesichtern, so daß sie alle gefleckt aussahen. Zwei dieser Männer, alt und in sich zusammengefallen und mehr der Statur von Zwergen zuneigend als der von Riesen, lieferten die Musik für den Festzug - aber die Geige war klein, als wäre sie eingegangen, und der andere ergänzte sein Tamburin mit einem Triangel aus Metall, das ihm vom Rücken hing und das er bei jedem Schritt mit dem Fuß anstieß. Und sie spielten mit einem Bravado, der die Herzen von Vera Andrejewna und Olga Alexandrowna vielleicht gerührt hätte, hätten sie die Melodie gekannt: »Rule Britannia!«.
Ein paar jappende Hunde von ebenso verschiedener Rasse wie dieser menschliche Zoo verschiedenster Typen rannten hin und her, und fingen sich häufig einen Tritt vom Fuß eines Banditen ein.
Die entkommenen Frauen besahen sich diese repräsentativen Beispiele der Welt, aus der sie in der Besserungsanstalt verbannt gewesen waren, mit kritischem Blick.
Sobald die Banditen und ihre fremden Gefangenen außer Sichtweite waren, kehrten die Frauen zu ihren Genossinnen zurück und diskutierten, was nun zu tun sei. Sie kamen bald zu einem Beschluß: den Banditen konnten sie nicht entgegentreten, also mußten sie die Gefangenen in der Hand des Schicksals lassen, das entsprechende Maßnahmen treffen würde, aber sie konnten und würden hinab zu dem Unfallzug gehen, selbst wenn eine Hilfsexpedition dort ankommen sollte und sie als Flüchtige und Deserteurinnen verhaftete, während sie den Verwundeten und Sterbenden die Hilfe zuteil werden ließen, die in ihrer Macht stand.
Unter den Sternen leuchtete der Schnee mit einem alptraumgrellen, strahlenden Blau, als ob ihm selbst eine Art Leichenphosphoreszenz entströmte. Aber wenn auch die Feuerflammen erstarben, gab es noch genügend Licht, daß die Frauen sehen konnten, wie wenig ihnen tatsächlich noch zu tun blieb.
Während sie sich näherten, raffte der letzte lebende Elefant seine letzten ihm verbleibenden Kräfte zusammen, hob einen geborstenen Schrank im Rüssel hoch und schleuderte ihn in den Wald, wo er in einem Hagel von Salzstreuern, Pfefferbüchsen und Essigfläschchen niederging. Dann - mit einem herzzerreißenden trompetenden Schrei, der einen Augenblick lang die ganze große Einsamkeit füllte - fiel der Elefant auf die Seite, fiel nicht langsam, nach und nach, sondern in einem krachenden Sturz in den schmelzenden Schnee. Danach herrschte eine furchtbare Stille, in der nur das Knistern des brennenden Unterholzes zu hören war, das loderte, als könne das Feuer es nicht verzehren.
Dann stolperte Olga Alexandrowna über einen Körper und dachte zuerst, es sei ein Leichnam - als sie die Flasche in seiner Hand sah, wußte sie, er lebte noch, wenn auch alles Treten und Zwicken ihn nicht zu einer Bewegung veranlassen konnte. Das gesamte Zugpersonal lag, wie sich herausstellte, wie zum Abschluß einer Bauernhochzeit lang hingestreckt um das Eisenbahnwrack - Schaffner, Kellner, Köche. Die Wärme der Flammen verhinderte ihr Erfrieren. Dies schienen die einzigen Überlebenden zu sein, und alle waren offenbar bei bester Gesundheit. Die Frauen hielten es für das Klügste, sie liegen zu lassen, da es klar war, daß ihnen nichts zustoßen würde.
Olga Alexandrowna, die von den bunten Farben angelockt worden war (wie sehr hatte sie nach Farben gehungert), zog eine Flickendecke aus einer
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