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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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Offizieren hierhin und dorthin geleitet wurden, und dem rauhen Pelz der Tiere im Ring sich in der nächtlichen Vermengung französischen Parfums mit Steppen- und Urwaldgerüchen löste, wo Moschus und Zibet sich als gemeinsames Element zu erkennen gaben.
    Unter der Manege, in den Kellern, war die Menagerie untergebracht, deren kaiserliche Bewohner zwischenzeitlich zugunsten der Tiere von Colonel Kearney ausgezogen waren. Ein Gang führte zu einem ummauerten Hof auf der Rückseite des Gebäudes. Diesen Hof betrat Walser nun durch ein bescheidenes Holztörchen, den Artisteneingang. Zu dieser toten Nachmittagsstunde, unter einem traurigem Himmel, lavendelfarben wie in Halbtrauer, lag der Hof leer da; nur ein langbeiniger kleiner Vogel pickte feinschmeckerisch Pflanzenfasern aus einem Hügel gelben Elefantenkots auf den Pflastersteinen. Eine zersplitterte Flasche, eine rostende Blechdose; eine Pumpe, aus der Wasser tropfte, das beim Aufschlag auf den Boden gefror.
    Die einzigen Geräusche trieben aus der Menagerie herauf: das ständige schnurrende Murren der großen Katzen, wie ein fernes Meer, und das schwache Klirren von Colonel Kearneys Elefanten, den Elefanten aus Fleisch und Blut, die wie stets und ständig die Ketten an ihren Beinen rasseln ließen, was sie in all ihren wachen Stunden taten, da sie in einer jahrtausendalten und langlebigen Geduld wohl wußten, daß in hundert Jahren, oder tausend Jahren, oder aber vielleicht morgen, in einer Stunde, denn alles war ein Glücksspiel, eine Million zu eins, trotzdem eine Chance kam, wenn sie weiter ihre Ketten schüttelten, daß sich eines Tages, an irgendeinem Tag die Schlösser ihrer Fußfesseln lösen würden.
    Ein verlorener, ausgestorbener Ort. Das heimeligste Detail: eine Reihe frischgewaschener Musselinkleider, an einer Wäscheleine festgeklammert, und die knarrten bereits in der Todesstarre, die der einsetzende Frost mit sich führte.
    Die Prinzessin von Abessinien hatte offenbar alle ihre Kleider auf einmal gewaschen, denn als sie nun herauskam, um die Wäsche einzusammeln, trug sie nur einen Unterrock und ein Leibchen mit einer schrecklichen Schürze darüber, steif von Blut, in der sie ihren Raubtieren aufgewartet hatte. Sie hängte die vom Frost gestärkten Kleider ab und versetzte jedem einen scharfen Schlag in die Taille, daß es sich genügend bog und sie es über den Arm hängen konnte. Sie war klein und schmal; die langen Locken fielen ihr bis zu den Hüften. In der Manege sah sie aus wie ein Kind an ihrem weißen Bechsteinflügel, groß genug für zwei ihrer Statur, an dem sie für ihre brüllenden Tiergefährten spielte, aber aus der Nähe war ihr Gesicht - zwar ohne alle Falten und Linien - alt wie Granit, mit den groben, introspektiven Zügen der Frauen Gauguins, und von einem weichmatten bitteren Braun.
    Krack! fuhr ihre dünne Pianistinnenhand auf ihre Kleider aus Eis nieder.
    Das Tor auf das Sträßchen vor dem Hof öffnet sich. Lizzie tritt auf, in ihrem (Hunde-?)Pelzjäckchen, ihrem der Jahreszeit nicht angemessenen steifen Strohhut, und sie trägt ein mit einem weißen Tuch verhülltes Tablett, dessen Bedeckung den herrlichen Geruch frischer Pfannkuchen nicht zurückhalten kann. Sie tritt das Tor mit dem Fuß hinter sich zu und trabt eine klappernde metallene Feuerleiter hinauf, durch eine Tür oben, die sie hinter sich offenstehen läßt.
    Aus dieser offenen Tür treibt auf der stillen Luft der Klang einer rauhen Stimme hervor, erhoben in recht melodiösem, wenn auch etwas grellem Sang:
    »Nur ein Vogel... im Käfig aus Gold...«
    Dann klappte auch diese Tür zu.
    Walser zwang sich, den Blick von der geschlossenen Tür zu lösen, und stieg in den Gang hinab, auf dem Weg in die Manege.
    Was für eine billige, praktische, expressionistisch-klare Bühne, diese Sägemehlarena, dieses kleine O! Rund wie ein Auge, ein ruhender Strudel in der Mitte - aber wenn man ein wenig daran reibt, wie an Aladins Wunderlampe, wandelt es sich im Nu in die Uroborosschlange mit dem Schwanz im Maul, altes und dauerhaftes Bild, das Rad, das sich zum Ausgangspunkt zurückdreht, das seinen Kreis vollendet, Anfang gleich Ende, Rad der Fortuna, Töpferscheibe, auf deren kreisender Bewegung unser Ton sich formt, das Lebensrad, auf das wir alle geflochten sind. O! des Erstaunens; O! des Schmerzes.
    Walser überlief es wie immer beim Anblick dieses Bildes mit seiner abgeschmackten und doch so viele Bedeutungen in sich beschließenden Romantik.
    Im Augenblick war der

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