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Nächte in Babylon

Nächte in Babylon

Titel: Nächte in Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Depp
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nach Hause kam. Bis nach Woodland Hills hatte sich ein Stau an den anderen gereiht: auf dem Sunset, auf der 405, auf dem Ventura Freeway. Dass er die Klimaanlage bei geschlossenen Fenstern auf Hochtouren hatte laufen lassen, half nicht dagegen, dass ihm die Sonne ins Gesicht knallte, und das ständige Stop-and-go, Stop-and-go und die lebensmüden Kolonnenspringer gingen ihm auf die Nerven. Schließlich leben wir in einer Zeit, in der man immer darauf gefasst sein muss, dass jemand aus dem Auto steigt, sich gemächlichen Schrittes zu seinem hupenden Hintermann begibt und ihm seelenruhig eine Kugel in den Schädel jagt.
    In Südkalifornien gleichen die Menschen wütenden Ratten, isoliert in ihren Käfigen aus Blech und Glas eingepfercht, herabgewürdigt zu Fratzen schneidenden, obszön gestikulierenden Zerrbildern ihrer selbst, während sie sich auf dem heißen Asphalt zentimeterweise vorwärtskämpfen, verletzlich und voller Angst. Und man ist wütend, auch dann noch, wenn man sein Ziel tatsächlich erreicht, auch wenn man es irgendwie schafft, seinen Termin einzuhalten, halbwegs frisch und gut präpariert, aber die Wut noch in den Adern, den Blutdruck durch den Flucht- oder Kampfinstinkt in die Höhe gejagt. Und wenn man sich mit einem höflichen Kopfnicken begrüßt und sich mit den Kollegen – die alle die gleiche Tortur hinter sich haben – zur Besprechung an den Konferenztisch setzt, ist es, als ob sich argwöhnische Tiere um ein Wasserloch versammeln. Das Gefühl, womöglich jede Sekunde zum Angriff übergehen oder sich verteidigen zu müssen, weil alles und alle der Feind sind, lässt sich nicht abschalten.
    Mit Logik hat das nichts zu tun, beileibe nicht. Es ist chemisch, animalisch, elementar. Es ist eine Sache des Blutes, des eigenen und das der anderen. Ob es vergossen wird oder nicht. Der Rausch des Blutes. Darum geht es und nur darum, in der Welt, wie wir sie gemacht haben.
    Im Haus war es still, dunkel und kühl – zum Glück hatte er daran gedacht, die Klimaanlage laufen zu lassen. Er trällerte: »Lucy, ich bin wieder da -ha«, und brachte die Einkaufstüten in die Küche. Ein Schlemmermenü, Sir, warme Pastrami auf Roggenbrot, deutscher Kartoffelsalat, koschere Gewürzgurken und eine Büchse Vanillelimonade. Belieben Sir, im blauen oder im roten Salon zu speisen, oder bevorzugen Sir wie üblich das Dinieren im Stehen, um direkt in die Spüle kleckern und krümeln zu können? Ich werde das Personal instruieren.
    Bier und Whiskey hatte er vor sich selbst in Sicherheit gebracht. Wegkippen konnte er das Zeug nicht, denn ganz ohne Alkohol im Haus hätte er bloß noch mehr Durst darauf bekommen. Wenn er nicht trank, dann aus freien Stücken und nicht aus Mangel an Gelegenheit. Auf den Unterschied kam es an. Er war immer noch Herr über seine Entscheidungen, kein jämmerlicher Versager, der sich selbst etwas vormachen musste.
    Er ging in sein Büro – die »Gene-Autry-Hütte«, wie Dee es immer genannt hatte –, das mit Westernartikeln vollgestopft war, und sah auf den Anrufbeantworter. Er blinkte. Ganz egal, worum es ging, es musste warten. Spandau hatte momentan nicht den Nerv dafür. Er wanderte wieder in die Küche, wickelte ein Sandwich aus und legte es auf einen Pappteller. Das Töpfchen mit dem Kartoffelsalat kippte er daneben. Er machte sich eine Büchse Limo auf und ging durch die Verandatür in seinen mickrigen Garten mit dem braunen Gras, den verkümmerten Blumen und dem Teich mit den paar Goldfischen, die ihn manchmal ansahen wie Kinder, die ihren Vater, der sie prügelte, trotz allem liebten.
    Sein eigener Vater hatte ihn, seine Schwester und die Mutter regelmäßig grün und blau geschlagen. Das ging so lange, bis Spandau von zu Hause ausgezogen war. Als Dee Kinder haben wollte, verschanzte er sich hinter Ausflüchten. Was ihrer Ehe nicht gutgetan hatte. Aber er hatte Angst, wie sein Vater zu werden und irgendwann selbst mit drohend erhobener Faust vor seinem Kind zu stehen, das voller Angst, Hass und Verwirrung zu ihm hochsah. Dann hätte er sich endgültig in das Monstrum verwandelt, das er immer verabscheut hatte. Noch heute wurde ihm übel, wenn er an seinen Vater dachte. Woher rührt diese Wut, wie kommen wir dazu, sie an unsere Kinder weiterzuvererben? Noch heute packte ihn manchmal der Drang, in seine alte Heimat Arizona zu fahren, den toten Scheißkerl wieder auszubuddeln, an einen Grabstein zu lehnen und ihm ein paar Kugeln in den schnapskonservierten Leib zu jagen. Und es

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