Nächte in Babylon
Anna sich ein. »Ich finde, wir sollten ihn herholen.«
»In die Villa?« Vignon glaubte, sich verhört zu haben.
»Reden müssen wir so oder so mit ihm«, antwortete sie. »Hier können wir ihn wenigstens im Auge behalten.«
»Damit hast du gar nicht mal so unrecht«, sagte Spandau. »Wir können ihn im Gästehaus unterbringen.«
»Bevor wir irgendwas unternehmen, muss ich die Geschichte überprüfen«, sagte Vignon.
»Was hast du vor?«
»Mit dem Mädchen reden. Garantiert weiß sie mehr, als sie zugibt. Du brauchst nicht mitzukommen.«
»Das kannst du dir abschminken.«
»Wieso redet man bei dir eigentlich immer gegen eine Wand? Du brichst dir keinen Zacken aus der Krone, wenn du dich ein Mal in deinem Leben kooperativ verhältst. Wir brauchen hier keine Cowboys.«
»Aber Indianer, ja? Und vor allem Häuptlinge.«
»Weißt du was? Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich die Amerikaner noch weniger leiden als die Briten. Hätte nicht gedacht, dass mir der Satz mal über die Lippen kommt.«
»Gib deinem Mustang die Sporen«, sagte Spandau, als sie in den Wagen stiegen. »Heigh-ho, Silver.«
Erst ging es ein Stück die Küstenstraße entlang, dann auf kurvigen Straßen landeinwärts. Bald hatten sie die Edelboutiquen und Luxusappartements hinter sich gelassen und drangen immer tiefer ein in das Straßengewirr der ärmeren Stadtviertel, wo zwar die würzigen Düfte Afrikas, Indiens und des Fernen Ostens in der Luft hingen, aber den Gestank der Kanalisation und des Mülls, der sich schneller ansammelte, als er abtransportiert wurde, doch nicht völlig überdecken konnten. Hier wohnten die Menschen, die in den Edelboutiquen putzten und den Besitzern der Luxusappartements den Haushalt besorgten.
»Hier ist es nicht mehr ganz so hübsch, was?«, sagte Vignon. »Aber irgendwo müssen die armen Teufel schließlich auch hin. Solange sie damit beschäftigt sind, sich gegenseitig auszurauben und umzubringen, haben die Reichen ihre Ruhe.«
Sie klopften an die Tür der Debords, doch es machte niemand auf.
»Hallo?«, rief Vignon ins Haus hinein.
Amalie kam ein paar Schritte die Treppe herunter. Sie trug Gummihandschuhe und hatte eine Scheuerbürste in der Hand. Ein kleines, zartes Geschöpf, auf seine Art fast hübsch, dachte Spandau.
»Was wollen Sie?«, fragte sie.
»Nur kurz mit Ihnen sprechen.«
»Sind Sie von der Zeitung? Oder von der Polizei?«
»Ich war früher bei der Polizei, jetzt nicht mehr«, antwortete Vignon. »Wir würden gern mit Ihnen über Vincent reden.«
»Haben Sie ihn gefunden?«
»Noch nicht.«
»Ich hab schon alles gesagt, was ich weiß.«
Sie drehte sich um und ging wieder nach oben. Vignon und Spandau folgten ihr. Auf den Knien liegend schrubbte sie in Perecs Zimmer das Blut ihres Vaters vom Boden.
»Wir möchten Sie wirklich nicht belästigen«, probierte es nun Spandau bei ihr. »Es ist sicher eine schwierige Situation für Sie.«
Sie ließ sich bei ihrer Arbeit nicht stören.
»Ich kenne Ihre polizeiliche Aussage«, sagte Vignon. »Und ich habe mit den beiden Beamten gesprochen, die Sie befragt haben. Kannten Sie Vincent gut?«
»Das hab ich doch alles schon stundenlang erzählt …«
»Nur noch ein Mal, bitte«, bat Spandau.
Sie hörte auf zu schrubben und strich sich die Haare aus den Augen.
»Er hatte dieses Zimmer hier gemietet. Nein, ich kannte ihn nicht gut. Ich weiß noch nicht mal, wie er mit Nachnamen heißt.«
»Sie waren befreundet?«, fragte Vignon.
»Ja. Nein … ich weiß nicht. Er wollte mir helfen.«
»Hat Ihr Vater Sie oft geschlagen?«, fragte Spandau.
»Manchmal. Wenn er betrunken war. Und betrunken war er oft.«
»Sie haben ihn gehasst?«
»Meinen Vater? Doch, ich glaube schon. Manchmal habe ich mir gewünscht, er wäre tot. Trotzdem war er mein Vater.«
»Aber es tut Ihnen nicht leid, dass er tot ist?«, hakte Vignon nach.
»Nein. Es tut mir bloß leid, dass Vincent ihn getötet hat. Es tut mir mehr um Vincent leid als um meinen Vater. Die Polizei glaubt, dass ich ihn aufgehetzt und dazu überredet habe.«
»Und? Stimmt das?«, fragte Vignon.
»Nein. Aber die können von mir aus glauben, was sie wollen. Es ist nicht wichtig.«
»Sie waren ein Liebespaar …«
»Nein, das ist gelogen«, fiel sie ihm ins Wort. »Das denkt die Polizei, aber es ist nicht wahr. Wenn Vincent mich gefragt hätte, hätte ich Ja gesagt. Aber so war es nicht.«
»Sie haben ausgesagt, Ihr Vater hätte Sie mit ihm im Bett erwischt …«
»Als er betrunken nach
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