Naechtliche Versuchung - Roman
meinem Highschool-Abschluss. Da bot er mir eine feste Stellung als sein Knappe an.«
»Was genau ist ein Knappe?«
Geschickt ordnete er den Wagen in den Verkehr ein und wechselte die Gänge. Dabei entdeckte sie ein seltsames Tattoo an seiner rechten Hand, das einem Spinnennetz glich, mit einem altgriechischen Symbol in der Mitte. Vielleicht das Erkennungszeichen aller Knappen, überlegte sie.
»Tagsüber beschützen wir die dunklen Jäger, und wir versorgen
sie mit allem, was sie brauchen. Essen, Kleidung, Autos und so weiter. Und wir kümmern uns um ihre Häuser. Einmal, vor langer Zeit, hielten einige Knappen in den speziellen Krypten Wache, wo die dunklen Jäger die Tage verbrachten. Dadurch entstand der Mythos von den Särgen, in denen die Vampire schlafen. Weil sie im Sonnenschein sterben, suchten sie früher in Höhlen oder fensterlosen Kammern Zuflucht, in die kein Tageslicht drang. Für unsere Dienste werden wir fürstlich entlohnt.«
»Beschäftigt jeder dunkle Jäger einen Knappen?«
»Nein, einige leben lieber allein. Ich bin der Erste, den Kyrian seit über dreihundert Jahren eingestellt hat.«
So lange ist er einsam gewesen? Bestürzt malte sie sich aus, wie er durch sein großes Haus gewandert war - ein rastloser Geist auf der vergeblichen Suche nach Trost.
»Und wenn Sie kündigen wollen, Nick?«
»So einfach ist das nicht«, erwiderte er und schnitt eine Grimasse. »Die Knappen gehören einer Organisation an, die dem Song von den Eagles gleicht - diesem Hotel California. Wer es einmal betreten hat, kann es nie wieder verlassen. Man darf zwar rausgehen, aber nicht ausziehen. Falls man abhaut, bleiben einem die anderen auf der Spur, bis man stirbt. Wenn man die Knappen oder die dunklen Jäger hintergeht, wird man nicht lange genug leben, um es zu bereuen.«
Seine unheilvolle Stimme sandte einen Schauer über Amandas Rücken. »Ist das wirklich wahr?«
»O ja. Manche Jungs stammen aus Familien, die seit Jahrtausenden Knappen zur Verfügung stellen.«
»So ähnlich wie die Sklaverei …«
»Keineswegs, ich kann mich frei bewegen. Aber ich darf
meinen Knappeneid nicht brechen. Sobald man ihn ablegt, gilt er für alle Ewigkeit. Wenn ich heirate, wird meine Frau nie erfahren, was Kyrian ist oder was ich für ihn tue, es sei denn, sie ist selber ein Knappe. Wenn meine Kinder erwachsen sind, werde ich entscheiden, ob sie in die Organisation eintreten sollen. Falls ich mich dazu entschließe, müssen sie vor Acheron und Artemis eine Prüfung ablegen, und ich würde hoffen, dass diese beiden die Bewerbung meiner Nachkommen positiv beurteilen.«
Wie unheimlich … Von einem erschreckenden Gedanken gequält, fragte sie: »Und ich? Könnten mich die Knappen für eine Bedrohung halten?«
Als Nick vor einer roten Ampel hielt, warf er Amanda einen eisigen Blick zu. »Wenn Sie Kyrian was antun, werden die Knappen Sie töten. Ohne jeden Zweifel.«
Krampfhaft schluckte Amanda. »Nicht besonders tröstlich.«
»Das soll es auch nicht sein. Wir nehmen unsere Pflichten sehr ernst. Nur die dunklen Jäger stehen zwischen der Menschheit und der Sklaverei oder der Vernichtung. Ohne sie würden die Apolliten und die Daimons uns alle unterjochen.«
Kyrian lag im Bett und versuchte zu schlafen. Daran hinderte ihn Amanda, die er in seinem Herzen spürte. Sie wanderte durch die Ruine ihres Hauses. Das wusste er, fühlte ihre Tränen, ihren Zorn, ihre Verzweiflung und litt mit ihr.
Wäre er doch bei ihr und könnte sie trösten … Nie zuvor hatte ihn die Verbannung aus dem Tageslicht gestört - bis
jetzt. Wäre er kein dunkler Jäger, würde er an ihrer Seite den Schaden in ihrem abgebrannten Haus inspizieren und ihr seine Hilfe anbieten.
Die Augen geschlossen, holte er tief Atem und versuchte die Qualen abzuwehren. In wildem Zorn hatte er ein Dasein in der Finsternis gewählt, dem er nicht entrinnen konnte.
Artemis bewachte ihr Heer mit Argusaugen und stellte hohe Ansprüche an jeden, der ihr entfliehen wollte. Kyrian erinnerte sich nur an drei dunkle Jäger, die jene schwere Prüfung bestanden hatten.
Alle anderen waren gestorben.
»Wozu brauche ich denn eine Seele?«, flüsterte er, schlug die Augen auf und starrte den goldbraunen Baldachin über seinem Bett an. »Damit würde ich mich nur schwächen.«
Sein Leben war nicht sinnlos, denn es erfüllte einen edlen Zweck.
Warum empfand er trotzdem eine verzweifelte Sehnsucht nach Amanda? So etwas hatte ihn jahrhundertelang nicht beunruhigt. Und es war ein
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