Nahkampf der Giganten
Cozar war noch immer nichts zu sehen. Aber draußen über der gleißenden See war der Nebel aufgerissen und hatte sich gelichtet. Midshipman Caswell reichte ihm ein Fernglas. »Kann der Ausguck sie schon ansprechen?« fragte Bolitho. Im Teleskop konnte er wenig mehr erkennen als einen splittergroßen weißen Streifen, der sich kaum von der Kimm abhob.
»Ein kleines Schiff, Sir!« meldete der Ausguck. »Ist allein und steuert Ostkurs.«
»Entern Sie auf, Mr. Quarme«, sagte Bolitho, »und melden Sie mir, was Sie sehen!« Er wußte, daß die anderen ihn aufmerksam beobachteten, und unterdrückte seinen Wunsch, selbst aufzuentern. Leutnant Rooke war Wachoffizier. Er stand an der Achterdeckr eling, das Teleskop unterm Arm, den Hut in die Stirn gezogen, um seine Augen vor dem blendenden Glast zu schützen. Wie immer war seine Uniform tadellos; neben den anderen in ihren fleckigen Hemden oder – wie die meisten – mit nacktem Oberkörper sah er aus wie ein Londoner Dandy.
Bolitho achtete nicht auf sie und versuchte auch, nicht Quarmes hoher, schlanker Gestalt nachzustarren, der rasch zur Saling aufenterte. Rooke hatte bestimmt seinen Spaß an der Geschichte, dachte er grimmig. Sobald sie wieder beim Geschwader waren, würde er nichts Eiligeres zu tun haben, als sich über den Mißerfolg seines Kommandanten auszulassen. Aber dieser Gedanken, redete Bolitho sich ein, war unfair. Wahrscheinlich beruhte seine Abneigung gegen Rooke nur auf seiner grundsätzlichen Aversion gegen die Bevorzugung von Adligen in der Marine. Bekam jemand den Adelstitel für Tapferkeit und wirkliche Verdienste – gut und schön. Aber später wurde dieser Titel oft genug zu einer Belastung für ehrgeizige Nachkommen. In London hatte Bolitho jedesmal eine ganze Anzahl von dieser Sorte getroffen: verwöhnte, egoistische junge Stutzer, die das Offizierspatent ihrer Geburt und ihrem Reichtum verdankten und trotz der Uniform, die sie mit so viel Prahlerei trugen, keine Ahnung von der Marine hatten.
Da rief Quarme: »Jetzt erkenne ich sie ganz genau, Sir. Sieht wie eine Schaluppe aus. Hält Ostkurs.«
»Sie wird Depeschen und Post für die Gibraltar-Flotte an Bord haben«, sagte Rooke. Die anderen blieben stumm, waren aber wohl der gleichen Meinung. Bolitho blickte zu Gossetts massiger Gestalt herüber. »Sie kennen diese Gewässer, Mr. Gossett. Wird sich das Wetter halten?«
Der Master runzelte die Stirn, bis seine Augen fast in dem gebräunten Gesicht verschwanden. »Nicht lange, Sir. Diese leichten Böen kommen und gehen, aber ich schätze, noch vor acht Glasen frischt der Wind auf.« Er wollte sich damit keineswegs großtun; sein Urteil gründete sich auf lange Erfahrung.
Bolitho nickte. »Sehr schön, Mr. Gossett. Pfeifen Sie ›Alle Mann‹. Fertigmachen zum Halsen. Wir ändern den Kurs und fangen diese Schaluppe ab.«
Keuchend erschien Quarme an Bolithos Seite. »Wir können ihr doch signalisieren, daß sie uns ansegeln soll, Sir.« Er schien fast empört darüber, daß ein Linienschiff einem so kleinen Fahrzeug entgegenkommen sollte.
Bolitho blickte ihn ernst an. »Sobald wir nahe genug sind, signalisieren Sie bitte. Ich will sie jetzt nicht mehr außer Sicht verlieren.«
Quarme begriff nicht. »Was soll ich signalisieren, Sir?«
Die Bootsmannspfeifen riefen an die Brassen. Unten auf dem Hauptdeck rissen sich die Matrosen aus ihrer Schlaffheit und eilten auf Stationen. »Signalisieren Sie: ›Beidrehen und Befehle abwarten‹«, sagte Bolitho ruhig.
»Verstehe. Sie wollen also doch Depeschen an Lord Hood schicken, Sir.« Quarme biß sich auf die Lippen und nickte bedeutsam.
»Meiner Ansicht nach die beste Entscheidung. Keiner kann Ihnen einen Vorwurf machen, Sir.«
Bolitho beobachtete die Marine-Infanteristen, die wie stets im Gleichschritt und ganz unseemännisch an die Besanbrassen marschierten. »Ich habe nicht die Absicht, Lord Hood zu berichten, Mr. Quarme. Jedenfalls nicht eher, als bis es tatsächlich etwas zu berichten gibt.«
Es dauerte fast zwei Stunden, bis die Schaluppe auf Signaldistanz war; doch eine Stunde vor Ende der Nachmittags wache hatten beide Schiffe gehalst. Sie lagen jetzt auf Südkurs und bewegten sich von der nebelverhangenen Insel weg. Bolitho ließ dem Ko mmandanten der Schaluppe signalisieren, er solle an Bord kommen.
Als beide Schiffe Segel gekürzt hatten, begab er sich wieder in seine Kajüte und schickte nach Quarme.
»Eine Viertelstunde nach der Ankunft des Kommandanten bitte ich alle Offiziere
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