Nana
er auch dieses dicke Mädchen mitnehmen sollte, das ihm im Wege stehen werde.
Doch die beiden Mädchen hatten ihn schon gefaßt und riefen:
Frische Milch wollen wir; vor uns muß sie gemolken werden.
Fünftes Kapitel.
Im Varietétheater wurde die »Blonde Venus« zum vierunddreißigsten Male aufgeführt. Eben ging der erste Akt zu Ende. Simonne, als kleine Wäscherin kostümiert, stand im Künstlerzimmer vor einem Tischchen, der von einem großen Spiegel überragt war, zwischen zwei Ecktüren, die sich auf den Logengang öffneten. Sie war allein und studierte ihre Rolle; die Gasflammen warfen ein grelles Licht auf sie.
Ist er gekommen? fragte Prullière, der, als Schweizer Admiral gekleidet, eintrat.
Wer denn? fragte Simonne, indem sie in den Spiegel lachte, um ihre Zähne und Lippen zu sehen.
Der Prinz.
Ich weiß es nicht. Ich komme jetzt von der Bühne. Ach, soll er denn kommen? Er kommt doch schon jeden Abend.
Prullière näherte sich dem Kamin, welcher der Konsole gegenüberstand, und in dem ein Kohlenfeuer brannte. Dort brannten auch zwei Gasflammen. Er blickte auf die Uhr, dann auf das Barometer, die, von zwei Sphinxen im Stile des Kaiserreichs getragen, rechts und links angebracht waren. Dann streckte er sich in einen großen Sessel, dessen ursprünglich grüner Samt, von vier Schauspielergenerationen abgenützt, bald gelb geworden war. Da saß er unbeweglich, starr ins Leere blickend, in der ruhigen, müden Haltung des Schauspielers, der gewohnt ist, auf den Ruf des Regisseurs zu warten. Da kam der alte Bosc mit schleppenden Schritten und hustend herein, eingehüllt in einen alten Garrickmantel, der an einer Seite von der Schulter herab geglitten war und das golddurchwirkte Wams des Königs Dagobert sehen ließ. Er legte seine Krone auf das Klavier und trommelte mit seinen von der Trunkenheit zitternden Fingern auf dem Instrument.
Ein langer, weißer Bart verlieh seinem vom Schnaps geröteten Gesichte einige Würde. Draußen peitschte der Sturm den Regen an die Scheiben des hohen Fensters, das auf den Hof ging.
Ist das ein Sauwetter! sagte Bosc mit einer Gebärde des Ekels.
Simonne und Prullière rührten sich nicht. An den Wänden hingen einige Landschaften und ein Bild des Schauspielers Vernet. Die Gasflammen warfen ein fahles Licht auf die Gemälde. Auf einer niedrigen Säule stand eine Büste Potiers, einer Berühmtheit des Varietétheaters, und starrte mit den hohlen Augen in die Luft. Jetzt wurde eine laute Stimme vernehmbar. Es war Fontan, der als junger Elegant mit gelben Glacéhandschuhen – dies war sein Kostüm für den zweiten Akt – eintrat.
Wißt ihr, daß heute mein Namenstag ist? rief er.
Wie? rief Simonne; heißt du denn Achilles? Dabei trat sie näher, wie angezogen durch seine große Nase und seinen breiten Komikermund.
Freilich, ich will Madame Bron sagen lassen, daß sie nach dem zweiten Akt Champagner heraufschickt.
Jetzt hörte man in der Ferne eine Glocke erklingen. Der Ton kam näher und entfernte sich wieder. Als er verklungen war, hörte man in den Gängen Trepp auf Trepp ab eine Stimme rufen: Auf die Bühne zum zweiten Akt! Der Ruf kam näher; ein blasses Männchen eilte an der Tür des Zimmers vorüber und rief mit der ganzen Kraft seiner dünnen Stimme: Auf die Bühne zum zweiten Akt!
Champagner! sagte Prullière, der diesen Ruf nicht zu hören schien.
Laß ihn lieber vom Kaffeehaus holen, meinte Bosc, indem er sich auf eine Bank niederließ und das müde Haupt an die Wand lehnte.
Simonne aber sagte, man müsse die kleinen Einkünfte der Madame Bron respektieren.
Sie war entzückt von Fontan, dessen Ziegenfratze in einem fortwährenden Spiel der Augen, der Nase und des Mundes sich bewegte; sie klatschte in die Hände und sagte:
Es gibt nur einen Fontan.
Die beiden Türen öffneten sich breit auf den Gang, der zu den Kulissen führte. Die von einer Gaslaterne beleuchtete gelbe Wand entlang huschten allerlei Schatten, kostümierte Männer, halbnackte Weiber, die ganze tolle Gesellschaft, die sich in der Schenke zur »Schwarzen Kugel« zusammenfinden sollte. Aus der Ferne hörte man das Getrappel der Füße über die fünf hölzernen Stufen, die auf die Bühne führten. Als die lange Clarisse vorübereilte, rief Simonne sie an, sie antwortete flüchtig, sie werde sogleich zurückkommen.
Sie kam auch gleich zurück, zitternd vor Kälte in ihrem leichten Überwurf mit der Irisschärpe.
Sapristi, es ist kalt, rief sie; und ich habe meinen Pelz in der
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