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Nana

Titel: Nana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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daß sie heuer so lange auf sich habe warten lassen. Die Gräfin rechtfertigte sich, indem sie alle Schuld an der Verzögerung ihrem Gatten zuschrieb. Zweimal schon waren die Koffer gepackt, aber am Abend vor der Abreise gab er, dringende Geschäfte vorschützend, Gegenbefehl. Als man glaubte, die Reise sei vollends aufgegeben, entschloß er sich plötzlich zu reisen, Da erzählte die alte Dame, auch Georges habe zweimal seine Ankunft angekündigt, ohne zu kommen; vorgestern abend aber sei er plötzlich eingetroffen, als sie gar nicht mehr auf ihn rechnete.
    Die Gesellschaft ging in den Garten, die beiden Herren rechts und links von den Damen und hörten dieses Gespräch stillschweigend mit an.
    Es tut aber nichts, sagte Madame Hugon, indem sie einen Kuß auf die blonden Locken ihres Sohnes drückte; es ist recht brav von Zizi, daß er sich hier auf dem Lande mit seiner Mutter einschließt. Der gute Zizi vergißt seine Mama nicht.
    Nachmittags war die alte Dame unruhig; bei Georges, der schon nach Tisch über Kopfschmerz geklagt hatte, kam eine heftige Migräne zum Ausbruch. Um vier Uhr sagte er, er müsse hinaufgehen, um sich niederzulegen, dies sei das einzige Mittel gegen das schreckliche Leiden; er wolle bis zum Morgen schlafen; das werde ihn herstellen. Die Mama bestand darauf, daß sie selbst ihn zu Bett bringen wolle. Kaum hatte sie aber das Zimmer verlassen, als er von innen es abschloß. Er wolle ungestört bleiben, rief er ihr nach, und in einem Zuge bis zum nächsten Morgen schlafen. Er ging nicht zu Bett, sondern kleidete sich heiter und wohlgemut wieder an und wartete still. Als zum Essen geläutet wurde, schaute er dem Grafen Muffat nach, bis dieser im Salon verschwand. Zehn Minuten später, als er sicher war, daß ihn niemand sehe, öffnete er ein Fenster, das auf die Hinterseite des Hauses ging, und ließ sich in den Park hinab, dann eilte er querfeldein die Choue entlang, mit leerem Magen und freudig erregter Brust.
    Die Nacht brach heran; ein feiner Regen fiel nieder. An diesem Abend sollte Nana in La Mignotte eintreffen. Seitdem Steiner im Mai ihr die Besitzung gekauft, wurde sie von Zeit zu Zeit von einem solchen Verlangen erfaßt, ihr Landhaus zu sehen, daß sie in Tränen ausbrach. Allein Bordenave wollte ihr nicht den allerkürzesten Urlaub bewilligen und verschob die Sache auf den September unter dem Vorwande, er könne für die Dauer der Ausstellung ihre Rolle nicht einen Abend durch eine andere besetzen. Ende August sprach er vom Oktober. Nana geriet in Wut und erklärte, sie werde am 15. September in La Mignotte sein, und um Bordenave die Festigkeit ihres Entschlusses zu zeigen, lud sie in seiner Gegenwart eine Menge Leute zu sich ein.
    Auch dem Grafen Muffat, der bisher bei ihr kein Gehör gefunden, bezeichnete sie den 15. September als den Tag, an welchem sie in La Mignotte eintreffen werde, wo sie dann auch gegen ihn sich artiger zeigen wolle. Am 12. September kam ihr der Gedanke, sie wolle sofort mit Zoé dahin abreisen. Denn es könne leicht geschehen, daß Bordenave irgendein Mittel ausfindig mache, um sie zurückzuhalten. Es machte ihr Spaß, ihm zuvorzukommen, indem sie ihm ein Krankheitszeugnis ihres Arztes sandte. Sie hatte den Einfall, zwei Tage früher als bestimmt war, in La Mignotte einzutreffen, um daselbst ungestört zwei Tage zuzubringen. Sie ließ durch Zoé in aller Eile die Koffer packen, schob die Zofe in eine Droschke und fuhr auf den Bahnhof. Hier schrieb sie im Büfett einige Zeilen an Steiner und bat ihn, erst übermorgen zu kommen, wenn er sie recht frisch und heiter antreffen wolle. Dann schrieb sie einen zweiten Brief an ihre Tante Lerat, in dem sie diese aufforderte, ihr sofort den kleinen Ludwig zu bringen. Der Landaufenthalt würde dem lieben Kleinen wohltun. Sie würden sich unter den schattigen Bäumen vortrefflich unterhalten. Von Paris bis Orleans sprach sie von nichts anderem. In einer plötzlichen Krise mütterlicher Zärtlichkeit mengte sie Blumen, Vögel und ihr Kind durcheinander.
    La Mignotte lag noch drei Meilen von Orleans entfernt. Nana verlor eine volle Stunde, bis es ihr gelang, einen Wagen zu mieten. Es war dies eine große, baufällige Kalesche, die knarrend und ächzend sich nur mit großer Bedächtigkeit fortbewegte. Sie überschüttete den Kutscher, einen kleinen schweigsamen Greis, mit Fragen. Ob er häufig bei La Mignotte vorbeikomme? Die Besitzung liege wohl dort hinter jenem Berge, wie? Ob es viele Bäume gebe? Ob das Haus nicht schon

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