Nana
durchaus, daß er sie und noch mütterlicher gestimmt als sonst. Der Wein machte nach der Abtei von Chamont begleite. Er weigerte sich aus Furcht, dabei gesehen zu werden. Das wäre ein scheußlicher Skandal. Darüber brach sie in Tränen aus, und es gelang ihm nur mit vieler Mühe, ihren Verzweiflungsanfall zu beschwichtigen, indem er ihr versprach, mit von der Partie zu sein.
Du liebst mich also? stammelte sie. Wiederhole mir, daß du mich sehr liebst. Sag', mein Wölfchen, wenn ich stürbe, würde das dich sehr betrüben?
In Fondettes war durch Nanas Nachbarschaft das ganze Haus in Aufregung gebracht. Jeden Morgen, beim Frühstück, kam Madame Hugon unwillkürlich auf diese Frau zu sprechen, indem sie erzählte, was der Gärtner ihr berichtete und dabei jene Art von Unruhe empfand, welche diese Mädchen den würdigsten Frauen einflößen. Sie, sonst so duldsam, war ganz aufgeregt und außer Fassung, erfüllt von dem unbestimmten Vorgefühl eines Unglücks, das am Abend sie erschreckte, als ob die Gegend durch irgendein reißendes Tier, das einer Menagerie entkommen, unsicher gemacht sei. Sie begann denn auch ihre Gäste auszuzanken, indem sie dieselben beschuldigte, daß sie sämtlich um La Mignotte umherstrichen. Den Grafen Vandeuvres hatte man auf der Landstraße mit einer Dame gesehen, die offenes Haar trug, ohne Hut, und die sehr heiter gestimmt schien. Er wies die Zumutung zurück, dies sei Nana gewesen. Es war in der Tat Lucy, die ihn ein Stück Weges begleitete und ihm lachend erzählte, wie sie ihren dritten Prinzen vor die Tür gesetzt habe. Auch der Marquis Chouard ging täglich aus; er sagte, der Arzt habe ihm dies verordnet. Gegen Daguenet und Fauchery zeigte sich Madame Hugon geradezu ungerecht. Besonders der erstere verließ das Haus gar nicht, er schien darauf verzichtet zu haben, die Bekanntschaft mit Nana zu pflegen, und legte Estella gegenüber eine achtungsvolle Verehrung an den Tag. Auch Fauchery blieb in Gesellschaft der gräflichen Damen Muffat. Ein einziges Mal war er auf einem Feldpfade Herrn Mignon begegnet, der die Arme voll Blumen hatte und seinen Söhnen eine botanische Vorlesung hielt. Die beiden Männer reichten einander die Hände und teilten einander wechselseitig Nachrichten über Rosa mit, die sich vortrefflich befand. Sie hatte heute beiden geschrieben und sie gebeten, noch einige Zeit das Landleben, die gute Luft zu genießen. Madame Hugon verschonte unter allen ihren Gästen bloß den Grafen Muffat und Georges.
Der Graf, der vorgab, daß er in Orleans wichtige Geschäfte habe, konnte doch unmöglich dieser Dirne nachlaufen; Georges hingegen wurde jeden Abend von solch furchtbaren Migräneanfällen geplagt, daß er tagsüber ruhen mußte.
Indessen war Fauchery zum ständigen Ritter der Gräfin Sabine geworden, jedesmal, wenn der Graf sich nachmittags entfernte. Wenn man sich in den Park begab, trug er ihren Feldsessel und ihren Schirm. Er unterhielt sie mit den wunderlichen Einfällen eines kleinen Journalisten und brachte sie allmählich zu jener Vertraulichkeit, die das Landleben so sehr begünstigt. Durch die Gesellschaft dieses jungen Mannes, dessen geräuschvolle Scherze und Spöttereien sie nicht bloßstellen konnten, gleichsam in eine Jugend zurückversetzt, schien sie ohne viel Bedenken sich ergeben zu haben. Zuweilen suchten sich, wenn sie sich eine Sekunde allein befanden, hinter einem Strauche verborgen, ihre Blicke; sie hielten mitten im Lachen plötzlich inne und wurden ernst, als hätten sie einander begriffen.
Am nächsten Freitag mußte man zum Frühstück ein neues Gedeck auflegen. Herr Theophile Venot, den Madame Hugon im verflossenen Winter bei der Gräfin Muffat eingeladen zu haben sich erinnerte, war plötzlich angekommen. Er krümmte den Rücken und zeigte die Manieren eines unbedeutenden, gutmütigen Menschen, der gar nicht merkt, welche Ehrfurcht seine Umgebung ihm entgegenbringt. Wenn es ihm beim Nachtisch gelungen war, sich vollständig in Vergessenheit zu bringen, so saß er da und kaute Zuckerstückchen, wobei er Daguenet beobachtete, der Estella mit Erdbeeren aufwartete und dann wieder Fauchery zuhörte, der die Gräfin Sabine mit irgendeiner Anekdote unterhielt. Sobald man ihn ansah, lächelte Herr Venot gutmütig. Nach aufgehobener Tafel nahm er den Arm des Grafen und ging mit diesem in den Park. Es war bekannt, daß er auf Muffat, seitdem dieser seine Mutter verloren, einen großen Einfluß besaß. Seltsame Gerüchte waren über die
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