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Nana

Titel: Nana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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sich nicht. Die beiden Frauen hatten einen langen Blick getauscht. Die Herren benahmen sich gebührend: Fauchery und Daguenet erkannten niemanden und blieben völlig kalt. Der Marquis drehte verlegen einen Grashalm zwischen den Fingern; er war voll Angst, daß eine dieser Damen ihm einen bösen Streich spielen könne. Bloß Vandeuvres, der sich etwas abseits hielt, wagte es, Lucy mit einem Augenblinzeln zu grüßen, die ihm im Vorbeifahren zugelächelt hatte.
    Nehmen Sie sich in acht, flüsterte Venot dem Grafen Muffat zu.
    Dieser folgte verstört der Erscheinung Nanas, die vor ihm floh. Seine Gattin hatte langsam den Kopf gewendet und beobachtete ihn. Da blickte er zur Erde, wie um den Galopp der Pferde nicht zu sehen, die ihm Leib und Seele davonführten. Er hatte Georges zwischen den Knien Nanas sitzen gesehen und begriff ... Er hätte in seinem Schmerz aufschreien mögen. Ein Kind. Die Erkenntnis, daß sie ein Kind ihm vorgezogen, brach ihn vollends. Steiner war ihm gleichgültig, aber dieses Kind ...
    Madame Hugon hatte ihren Sohn nicht gleich erkannt. Dieser hatte, als er die Situation übersah, nicht übel Lust, in den Fluß zu springen, allein Nanas Knie hielten ihn fest. Starr und bleich fuhr er über die Brücke. Er wagte es nicht aufzublicken ... Vielleicht würde man auch ihn nicht sehen.
    Oh, mein Gott! sagte plötzlich die alte Dame, das ist ja Georges, der mit ihr fährt ...
    Die Wagen waren vorübergefahren inmitten des Unbehagens, das entsteht, wenn Leute, die einander kennen, sich nicht grüßen. Diese kurze, peinliche Begegnung schien eine Ewigkeit gedauert zu haben. Dann kamen die Wagen wieder in rascheren Lauf; die bunten Kleider flatterten lustig in der Luft, die Heiterkeit kehrte bald wieder. Nana schaute zurück und sah, daß die Spaziergänger nach kurzem Zögern kehrtmachten, ohne die Brücke zu überschreiten. Madame Hugon schritt am Arme des Grafen Muffat einher, stillschweigend und traurig, daß niemand wagte, ihr ein tröstendes Wort zu sagen.
    Haben Sie Fauchery gesehen? rief Nana der im nächsten Wagen sitzenden Lucy zu. Ist das ein Lumpenkerl! Er soll mir sein Benehmen entgelten ... Und Paul, dieser Bursche, mit dem ich so gut gewesen, nicht den leisesten Wink ... Das sind mir nette Leute.
    Steiner bemerkte, die Herren hätten sich gebührend benommen. Darüber machte Nana ihrem Verehrer eine abscheuliche Szene. So! sie verdiene also nicht einmal einen Gruß! ... Der erste beste Lümmel dürfe sie beschimpfen ... Schönen Dank. Steiner sei nicht besser als die übrigen ... Eine Frau müsse man immer, unter allen Umständen grüßen, meinte sie.
    Wer ist denn die große Dame? fragte Lucy laut schreiend, um das Geräusch der Räder zu übertönen.
    Es ist die Gräfin Muffat, erwiderte Steiner.
    Ich dachte mir's, bemerkte Nana. Gräfin hin, Gräfin her, – diese Dame taugt nicht viel. Sie wissen, ich habe einen Blick dafür ... Ich kenne sie jetzt, diese Gräfin, als ob ich sie gemacht hätte ... Wollen Sie wetten, daß sie die Geliebte dieses Scheusals Fauchery ist? Ich sage Ihnen: sie ist es. Wir haben das gleich weg, wir Frauen ...
    Steiner zuckte die Achseln. Seit dem vorhergehenden Abend war er sehr verstimmt. Er hatte Briefe erhalten, die ihn am nächsten Tage abberiefen; auch fand er es wenig amüsant, in La Mignotte seine Nächte auf dem Diwan des Salons zuzubringen.
    Das arme Kleinchen! rief Nana dann plötzlich aus, als sie Georges verstört dasitzen sah.
    Glauben Sie, daß Mama mich erkannt hat? stammelte der Knabe.
    Bestimmt, sie hat ja auch aufgeschrien ... Es ist meine Schuld ... Er wollte nicht mit; ich habe ihn gezwungen ... Hör', Zizi, soll ich deiner Mama schreiben? Sie hat ein sehr würdiges Aussehen. Ich will ihr schreiben, daß ich dich nie gesehen, daß Steiner dich mitgebracht hat, und zwar heute zum erstenmal.
    Nein, nicht schreiben, sagte Georges. Ich will die Sache schon selber schlichten, und wenn man viele Geschichten macht, so kehre ich gar nicht mehr zurück.
    Er wurde sehr nachdenklich; er suchte nach Ausflüchten für den Abend. Die Wagen rollten auf einem endlos scheinenden, geraden Wege dahin, der mit schönen Bäumen besetzt war. Die Landschaft schwamm im silbergrauen Lichte eines Septembermorgens. Die Damen fuhren fort, einander allerlei Bemerkungen zuzurufen. Zuweilen richteten sie sich im Wagen auf, um besser zu sehen, und standen eine Weile, auf die Schultern ihres Nachbars gestützt, bis ein Stoß des Wagens sie wieder auf ihren Sitz niederwarf.

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