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Nanking Road

Nanking Road

Titel: Nanking Road Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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bereits auf sie warteten. Auf den Philippinen wollte man einer möglichen Invasion zuvorkommen und das Tamtam vor der Abfahrt diente wohl vor allem dazu, den Japanern Stärke zu demonstrieren. Für uns Flüchtlinge, die ohne Schutz zurückblieben, war die Musik bestimmt nicht gedacht, und für die Chinesen auch nicht, die mit ängstlichen, verschlossenen Gesichtern zusahen.
    Der Abzug der Marines war das i-Tüpfelchen am Ende eines sorgenvollen Jahres. Außer Amerika gab es keinen einzigen Kontinent mehr, der nicht vom Krieg betroffen war, und langsam schien sich der Fü darauf verlassen zu können, dass dies auch so blieb. Die einzige Macht, die ihn und seine Verbündeten hätte aufhalten können, blieb neutral.
    Japan hatte Chongquing angegriffen, die provisorische Hauptstadt der nationalchinesischen Regierung Chiang Kai-sheks, und die Soldaten hatten unter der Zivilbevölkerung ein Massaker verübt, von dem die Erwachsenen nur im Flüsterton redeten. Deutsche Truppen standen in Afrika, um den Italienern gegen die Briten zu Hilfe zu kommen, und sie standen auch in der Sowjetunion, seit sie im Sommer völlig überraschend ihren einstigen Verbündeten überfallen hatten. Mit dem Angriff auf den Erzfeind des Westens hatte der Fü bei den Amerikanern vielleicht sogar Punkte gemacht.
    Eine seltsame Nachricht war aus Deutschland zu uns gedrungen: Seit Kurzem zwang man die Juden, sich auf der Straße nur noch mit aufgenähten gelben Sternen an ihrer Kleidung sehen zu lassen. Nun konnte die Bevölkerung sie noch besser erkennen, demütigen und verspotten, aber abgesehen davon, dass ich das selbst für die Deutschen unvorstellbar hässlich und gemein fand, konnte ich nicht erkennen, wozu es gut sein sollte. Die Grenzen waren dicht, Auswanderung nicht mehr möglich. Hatten die Nazis mit ihrem Weltkrieg nicht genug zu tun? Ich fand, sie konnten es langsam gut sein lassen, was die Juden betraf!
    Der Brief von Frau Liebich an Tante Ruth war die letzte Nachricht aus Berlin gewesen und auch die Briefe von Bekka an ihre Eltern kehrten mittlerweile ungeöffnet in unser Postfach zurück. Sie waren gestempelt mit der Aufschrift: Empfänger unbekannt .
    Unbekannt …? Fünfzehn Jahre hatten Liebichs in der Silbersteinstraße gewohnt, natürlich musste der Postbote sie kennen! Wahrscheinlich hatte sich die Post nicht die Mühe gemacht, nachzuforschen. Dass Bekkas Eltern sich die Wohnung ohne die Mietzahlung von Tante Ruth nicht mehr würden leisten können, war zu befürchten gewesen, nun waren sie also umgezogen und konnten ihren Kindern nicht einmal ihre neue Adresse zukommen lassen.
    Und wozu?, dachte ich bedrückt. Alles war umsonst gewesen. Wenn Tante Ruth in Berlin geblieben wäre, wären sie, Onkel Erik und Evchen nicht vermisst, Liebichs hätten in ihrer Wohnung bleiben dürfen und Bekka und Thomas könnten ihren Eltern noch schreiben.
    Nun also hatten wir in Shanghai unsere eigenen Sorgen. Eines Morgens Anfang Dezember erwachte ich von Donnergrollen. Zum Aufstehen war es zu früh, aber als ich mich umdrehen und weiterschlafen wollte, bemerkte ich einen zuckenden rötlichen Schimmer hinter den zugezogenen Vorhängen.
    Feuer! Mein Herz setzte aus. Ich sprang aus dem Bett und riss den Vorhang auf in der Erwartung, das Haus gegenüber in Flammen zu sehen. Aber unsere Straße lag friedlich da, nur ein leichter Gestank nach Schießpulver zog ins Zimmer, als ich das Fenster öffnete. Im nächsten Augenblick ließ ein weiterer ferner Donnerschlag die Scheiben klirren und aus Richtung des Flusses hörte ich ohrenbetäubendes Krachen, als stürze ein großes Haus in sich zusammen.
    Weitere Fenster flogen auf. Stimmen, Geschrei, hastige Schritte. Zwischen aufgeregten Chinesen rannte der Bäcker einer benachbarten Konditorei und schrie: »Die Idzumo greift an! Die Wake und die Peterel brennen!«
    Ich setzte mich aufs Bett, klemmte die eiskalten Hände zwischen meine zitternden Knie und wartete auf meine Eltern. Nur wenige Sekunden später kam Papa, setzte sich neben mich und legte mir den Arm um die Schultern.
    »Nun ist es also soweit«, sagte er. »Der Krieg ist da. Hoffen wir, dass die Amerikaner ein Einsehen haben und der Sache endlich ein Ende bereiten.«
    In der Schule fehlte an diesem Tag fast die Hälfte meiner Klassenkameraden – hauptsächlich jene, die aus dem Settlement in die Kadoorie-Schule kamen. Einige ältere Jungen waren im Morgengrauen todesmutig zur Uferpromenade gelaufen, um einen Blick auf die Kampfhandlungen zu

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