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Naokos Laecheln

Naokos Laecheln

Titel: Naokos Laecheln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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langem Haar wären so verführerisch, so liebenswert, so feminin? Ich kenne mindestens zweihundertfünfzig langhaarige Trampel. Wirklich!«
    »Mir gefällst du so besser als vorher.« Das war nicht einmal gelogen. Soweit ich mich erinnern konnte, war sie mit langem Haar nur eins von vielen hübschen Mädchen gewesen. Doch das Mädchen, das mir jetzt gegenübersaß, war wie ein kleines Tier, das mit dem Frühling in die Welt gesprungen war und dessen Körper vor Lebenskraft sprühte. Ihre Pupillen huschten lebhaft hin und her, als führten sie ein Eigenleben: Lachen, Ärger, Erstaunen, Enttäuschung. So viel Vitalität hatte ich lange nicht gesehen, und ich genoß es, sie zu beobachten.
    »Wirklich?«
    Ich nickte und kaute weiter meinen Salat.
    Sie setzte die Sonnenbrille wieder auf und sah mir ins Gesicht.
    »Ganz ehrlich?«
    »Nach Möglichkeit bemühe ich mich ein aufrichtiger Mensch zu sein«, erwiderte ich.
    »Na gut«, sagte sie.
    »Warum trägst du dauernd diese dunkle Sonnenbrille?«
    »Als meine Haare plötzlich so kurz waren, habe ich mich irgendwie ausgeliefert gefühlt, wie nackt in eine Menschenmenge geworfen. Überhaupt nicht entspannt. Da habe ich angefangen, die Sonnenbrille zu tragen.«
    »Ach so.« Ich verspeiste den Rest meines Omeletts. Sie sah mir dabei höchst interessiert zu.
    »Mußt du nicht an deinen Tisch zurück?« Ich deutete auf ihre drei Begleiter.
    »Kein Problem. Ich setze mich wieder zu ihnen, wenn das Essen kommt. Störe ich dich beim Essen?«
    »Da gibt’s nichts mehr zu stören. Ich bin fertig.« Da sie keine Anstalten machte zu gehen, bestellte ich mir einen Kaffee. Die Wirtin räumte das Geschirr ab und brachte Zucker und Milch.
    »Sag mal, warum hast du dich heute eigentlich nicht gemeldet, als die Namen aufgerufen wurden? Du heißt doch Watanabe, oder? Tōru Watanabe?«
    »Genau.«
    »Und warum hast du dich nicht gemeldet?«
    »Mir war heute nicht danach.«
    Sie nahm die Sonnenbrille wieder ab und legte sie auf den Tisch. Sie starrte mich an wie ein seltenes Tier im Käfig.
    »›Mir war heute nicht danach‹«, wiederholte sie. »Du redest wie Humphrey Bogart – das soll wohl cool und männlich sein?«
    »Quatsch! Ich bin ein ganz normaler Mensch, wie alle andern.«
    Die Wirtin stellte mir den Kaffee hin. Ich nahm einen Schluck ohne Milch und Zucker.
    »Siehst du, du trinkst auch den Kaffee schwarz.«
    »Ich mag nur nichts Süßes«, erklärte ich geduldig. »Du machst dir falsche Vorstellungen.«
    »Und warum bist du so braun?«
    »Weil ich zwei Wochen Wandern war. Mit Rucksack und Schlafsack. Deshalb.«
    »Wo denn?«
    »In Kanazawa, Halbinsel Nōto. Bis Niigata.«
    »Ganz allein?«
    »Hmm, ab und zu hab ich unterwegs jemand kennengelernt.«
    »Romantische Bekanntschaften? Hast du Mädchen kennengelernt?«
    »Mädchen?« fragte ich erstaunt. »Du hast wirklich eine blühende Phantasie. Wie soll einer, der mit Schlafsack und Bartstoppeln durch die Gegend zieht, Frauenbekanntschaften machen?«
    »Reist du immer ganz allein?«
    »Ja, schon.«
    »Du liebst die Einsamkeit?« fragte sie, die Wange in die Hand gestützt. »Du reist allein, du ißt allein, du sitzt allein im Hörsaal…«
    »Niemand ist gern allein. Ich gebe mir nur keine große Mühe, Freunde zu finden. Das bewahrt mich vor Enttäuschungen.«
    Sie kaute auf dem Bügel ihrer Sonnenbrille und nuschelte: »›Niemand ist gern allein. Ich will nur nicht enttäuscht werden‹«, äffte sie mich nach. »Solltest du jemals eine Autobiographie schreiben, kannst du das verwenden.«
    »Danke«, sagte ich.
    »Magst du Grün?«
    »Wieso?«
    »Du trägst ein grünes Polohemd. Also frage ich dich, ob du grün magst.«
    »Nicht besonders. Mir ist egal, was ich anziehe.«
    »›Nicht besonders. Mir ist egal, was ich anziehe‹«, imitierte sie mich wieder. »Mir gefällt, wie du redest. Wie sauber ausgespachtelt. Hat dir das schon mal jemand gesagt?«
    »Nein, noch nie«, erwiderte ich.
    »Ich heiße Midori, das bedeutet Grün«, erklärte sie. »Dabei steht mir Grün überhaupt nicht. Komisch, nicht? Eigentlich richtig fies. Ist das nicht wie ein Fluch? Meine große Schwester heißt Momoko – Pfirsichkind.«
    »Und? Steht ihr Rosa?«
    »Rosa steht ihr toll! Sie ist dazu geboren, Rosa zu tragen. Ach, es ist so ungerecht.«
    An ihrem Tisch wurde das Essen aufgetragen, und als ein Typ in einer Madraskaro-Jacke ihr etwas zurief, winkte sie, wie um zu sagen, sie wisse Bescheid.
    »Du, Tōru, du schreibst doch bestimmt mit? In

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