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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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aus. Jeder legte für den anderen die Hand ins Feuer. Neuzugänge hatte es in den letzten fünf Jahren keine gegeben.
    Normalerweise war die Bewachung des österreichischen Bundeskanzlers in der Heimat mehr oder weniger eine reine Formsache. Bei den Reisen in die Bundesländer arbeitete man mit der lokalen Polizei zusammen, bei Auslandsreisen mit den Sicherheitskräften vor Ort, die meist nervöser waren als ihre österreichischen Kollegen.
    Die Tatsache, dass es noch niemals einen Anschlag auf einen Kanzler der Zweiten Republik gegeben hatte, weder im In- noch im Ausland, beruhigte Richard Schumann mehr als die bewaffnete Truppe, die ihn umgab. Er kannte jeden einzelnen, er mochte die meisten, aber er hatte sie bisher noch nie für wirklich notwendig erachtet.
    Das barocke Haus am Ballhausplatz, gerade zweihundertneunzig Jahre alt geworden, stand von jeher für Tradition und Beständigkeit. Ein einziges Mal, in den blutigen Bürgerkriegstagen der Dreißigerjahre, war ein Bundeskanzler hier in seinen Amtsräumen getötet worden. Engelbert Dollfuß wurde am 25. Juli 1934 das Opfer von illegalen Nationalsozialisten, die ihn im Bundeskanzleramt niederschossen. Er verblutete auf dem Sofa seines Büros. Das war in der langen Geschichte des Hauses der einzige gewalttätige Zwischenfall geblieben.
    Die ehemalige »Geheime Hofkanzlei«, an der Stelle eines Ballspielhauses errichtet, das dem Platz den Namen gegeben hatte, diente unter mehreren Kaisern als Staatskanzlei und Außenministerium. Im Prunksaal im ersten Stock hatte der Wiener Kongress getagt und Metternich die Sternstunden seiner Karriere erlebt. Der Legende nach hatte er Lüftungsgitter an der Decke des Raumes anbringen lassen und dahinter Horchposten aufgestellt, um über jedes Wort der anwesenden Diplomaten sofort unterrichtet zu werden.
    An all das dachte Schumann, als er nach dem Termin im Kongresszentrum der Hofburg aus seinem Dienstwagen stieg und die prunkvolle Treppe in seine Amtsräume hinaufeilte. Vielleicht wären Lüftungsgitter mit Lauschern auch diesmal bei der Finanzministerkonferenz nicht fehl am Platz gewesen …
    Zwei seiner Sicherheitsleute begrüßten ihn lächelnd mit einem Kopfnicken und hielten ihm die Türe zu seinem Büro auf. Mit den glänzenden und intarsierten Holzvertäfelungen, die bis an die Decke reichten, den Perserteppichen und großen Kronleuchtern, war der Arbeitsplatz des Bundeskanzlers eine Mischung aus Fünfzigerjahre-Design und traditionellen Elementen. Einer von Schumanns Vorgängern, Bruno Kreisky, hatte es abfällig »die Zigarrenkiste« genannt, weil der Architekt auch Zigarettenpackungen für die Austria Tabakregie entworfen hatte. Schumann jedoch mochte den warmen Holzton und den etwas eigenwilligen Schreibtisch, der sich nahtlos in die übrige Einrichtung einfügte.
    »Jetzt hätte ich gerne einen starken Kaffee, bitte«, meinte Schumann zu seiner Sekretärin, die soeben bei der anderen Tür hereinkam.
    »Schon erledigt«, lächelte sie und stellte das Tablett mit Kanne und Tasse vor Schumann auf die Arbeitsfläche des großen Schreibtisches.
    »Warum funktioniert nicht alles im Leben so reibungslos?«, seufzte der Bundeskanzler und nickte dankend. »Dann hätten wir eine Menge Probleme weniger bei dieser Konferenz, die mir eher wie eine internationale Zuteilungssitzung für Bankzuschüsse erscheint und die Menschen zu Recht auf die Straßen treibt.«
    Sein Kabinettschef Egon Bolz betrat das Zimmer und brachte einen Stapel Unterlagen in Mappen mit, die er neben das Tablett auf den Tisch fallen ließ.
    »Tut mir leid, aber die restliche Arbeit wartet nicht«, meinte Bolz entschuldigend.
    Schumann winkte ab. »Ich weiß, ich weiß. Gib mir eine Stunde, dann kannst du alles wieder mitnehmen. Und kann hier jemand die Klimaanlage etwas wärmer stellen? Ich komme mir vor wie im Kühlschrank.«
    »Ich kümmere mich darum«, gab Bolz zurück und überlegte für einen Moment, die Fenster zu öffnen und die Nachmittagshitze hereinzulassen. Dann verwarf er den Gedanken wieder. In unsicheren Zeiten wie diesen sollte man das Schicksal nicht herausfordern, dachte er und verließ das Büro.
    Schumann saß bereits an seinem Schreibtisch und arbeitete die ersten Blätter der obersten Mappe durch.
    Die beiden Sicherheitsleute, die kurz darauf ohne anzuklopfen die Tür zum Büro des Bundeskanzlers aufrissen, waren aufgeregt und drückten mit einer Hand den Hörer ihres Funkgerätes tiefer ins Ohr, um nur keine Meldung zu

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