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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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wenn wir nicht schnell den Haupteingang finden.«
    Doch die Allee vor den Toren Berlins, deren Straßenbelag aus den Fünfzigerjahren zu stammen schien, nahm kein Ende.
    »Seien Sie pünktlich um 15:00 Uhr an den alten Springbrunnenbecken am Stahnsdorfer Friedhof«, hatte Rosi gesagt, geheimnisvoll gelächelt und ihnen kurz den Weg beschrieben. Dann hatte sie noch hinzugefügt: »Und kommen Sie nicht zu spät.«
    Paul nahm die Hand vom Lenker und sah auf die Uhr. Sie hatten noch zwei Minuten bis zum Rendezvous und auf dem Weg hierher hatte er keine Sekunde verschenkt. Es war alles zu knapp bemessen, die Zeit schien ihnen zwischen den Fingern zu zerrinnen.
    Da tauchte plötzlich zwischen den Baumreihen links ein kleiner Parkplatz auf und die rote Ziegelmauer, an der sie entlanggefahren waren, wich zurück. Paul sah eine kleine gepflegte Grünanlage mit Rosen und einer frisch gestrichenen, glänzenden Bank, rundherum die abgestellten Autos der Friedhofsbesucher.
    Das weiße Doppeltor des Friedhofs war geschlossen und nur eine kleine Türe für Fußgänger stand weit offen. Paul zögerte nicht einen Moment und beschleunigte die schwere Maschine durch den schmalen Durchgang, dann den betonierten Hauptfahrweg des Friedhofs entlang und bog schließlich nach einigen Metern rechts auf einen kleinen Weg ab, der sich im Unterholz zu verlieren schien.
    »Ducken!«, rief er Valerie zu, bevor er die Kawasaki unter den tief hängenden dunklen Ästen der eng stehenden Fichten und Tannen hindurchschlängelte und beschleunigte. Der Boden bestand aus grünem Moos und das Hinterrad des Motorrads rutschte in alle Richtungen über Wurzeln und den feuchten Boden. Der schmale Weg schien zu Ende und eine grüne Wand aus Zweigen und Blättern flog auf sie zu.
    »Stopp! Bleib stehen!«, rief Valerie aus, aber Paul stellte das Motorrad quer und bog im letzten Moment scharf rechts ab.
    Sie waren auf einer weiten Lichtung angelangt, auf der die Zeit stillzustehen schien und nur Vögel zu hören waren, als Paul den Motor abstellte. Die Sonnenstrahlen fielen durch die hohen Bäume auf den grasigen Boden, in den alte Steinbecken eingelassen waren, und zeichneten große helle Muster auf das Grün.
    Der gemauerte Boden der ehemaligen Springbrunnen war seit Langem mit Moos bedeckt, Blätter und Zweige erzählten eine Geschichte von Verfall und Vernachlässigung. Ein paar alte Grabsteine ohne Aufschrift schimmerten durch das Unterholz und auf einer einsamen grauen Bank am Rande der Lichtung saß eine zusammengesunkene Gestalt, eine Metallgießkanne neben sich.
    Valerie zog den Helm ab und atmete tief durch. Es roch nach Wald und vermodernden Blättern, nach kühlem Schatten und Ligusterhecken.
    »Sieht so aus, als hätten wir es gerade noch geschafft«, stellte Paul fest und deutete auf die Gestalt auf der Steinbank.
    »Das war riskant vorhin«, gab Valerie zurück, »ich dachte, du parkst uns im Gebüsch.«
    »Nichts gegen deine Eskapaden mit dem Helikopter, wenn ich mich recht erinnere«, sagte Paul spitz und hängte seinen Helm auf den Lenker. Dann machten sich beide auf den Weg zum anderen Ende der Lichtung.
    Die Erde unter ihren Füßen war weich wie ein dicker Teppich und schluckte jedes Geräusch. Die Gestalt hatte sich noch immer nicht bewegt. Wer immer auf sie wartete, er schien eingeschlafen zu sein.
    »Bleiben Sie da stehen, wo ich Sie gut sehen kann«, schnitt eine schrille Stimme durch die Ruhe des verlassenen Friedhofs.
    »Das wird langsam eine Unart«, murmelte Paul und zog den Reißverschluss seiner Lederjacke auf. Die Glock steckte hinten in seinem Hosenbund und ihr Druck beruhigte ihn. Dann blieb er stehen und schaute neugierig hinüber zu der kleinen Gestalt auf der Bank. Valerie stand mit gerunzelter Stirn neben ihm und stemmte erwartungsvoll die Hände in die Seiten.
    »Falsche Seite, Herr Wagner, ganz falsche Seite«, flüsterte da eine weibliche Stimme neben ihm kichernd und Paul fuhr herum. Eine alte Frau mit kurzen grauen Haaren und einem grünen Sommerkleid blickte kopfschüttelnd zu ihm hoch, bevor sie sich an Valerie wandte. »Major Goldmann, ein Friedhof ist nicht immer so friedlich, wie es sein Name präjudiziert. Und nur weil Rosi Sie angekündigt und mich Ihnen empfohlen hat, sollten Sie nicht so vertrauensselig sein. Hier liegen Hunderte Menschen, die einmal zu oft Vertrauen geschenkt hatten.«
    Damit ging die alte Frau zu der Gestalt auf der Bank, zog eine volle Einkaufstüte und einen kleinen Rucksack aus dem blauen

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