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Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
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verbreitete sich die Kunde von einem Gott, der Menschen heilte und Tote zum Leben erwecken konnte …« Sie schaute nachdenklich die große Figur aus Bronze an.
    »Äskulap trauert selbst um die Toten, die hier liegen. Aber er ist ein gestürzter Fürst, muss sich mit Engelsflügeln tarnen, um unter den neuen, christlichen Machthabern nicht aufzufallen. Er sitzt hier bei den Bewahrern seiner Kunst, und seinen Anspruch auf die Herrschaft über sie, so macht es den Eindruck, hat er niemals aufgegeben … Und sie hielten ihm die Treue, bis über den Tod hinaus.«
    Sarah warf Paul einen weiteren vielsagenden Blick zu. Jedoch der Reporter verstand nicht recht, was sie ihm mitteilen wollte.
    »Vielleicht ist Äskulap mitten unter all den Söhnen des Himmels, oder den Söhnen der Götter, wie man die Thorastelle zu den Engeln auch übersetzen könnte, ein ›Schläfer‹? Sitzt einfach nur da und wartet auf den richtigen Zeitpunkt, die alte Ordnung wiederherzustellen?«, flüsterte Sarah, gerade so, als wollte sie die Figur nicht aufwecken.
    Was hatten gestürzte antike Götter mit Daniel Singer und Metternichs Dokumenten zu tun?
    Valerie zitierte laut den Sinnspruch, der auf der Grabplatte der beiden Mediziner stand: »Sei getreu bis in den Tod, dann will ich Dir die Krone des Lebens geben.«
    Die alte Frau nickte nachdenklich. »Sagt Ihnen der Name Baldur von Schirach etwas?«, fragte sie dann unvermittelt.
    Valerie sah sie verwirrt an, bevor sie antwortete. »Der Rattenfänger? Schirach war Reichsjugendführer unter Hitler, wenn ich mich recht erinnere.«
    »Baldur von Schirach kam aus einem kaisertreuen Milieu, obwohl man seine Familie oft als progressiv und aufgeklärt bezeichnete. Sein älterer Bruder erschoss sich 1919 aus Gram über die Abdankung des Kaisers und den Abschluss des Versailler Vertrages. Vielleicht erklärt das einiges.«
    Sarah drehte sich um und ging langsam weiter in den Friedhof hinein, während sie erzählte.
    »Er nahm am Frankreichfeldzug teil, meldete sich 1939 freiwillig an die Front und zog mit Hitler in Paris ein. Und dort entdeckte der neugierige Schirach aus Zufall in den geheimen Regierungsarchiven, die sich Hitler sofort aneignete, das französische Dokument. Er kehrte zurück nach Berlin und es ließ ihm keine Ruhe, als er erfuhr, dass es auch ein deutsches Pendant dazu gegeben hatte. Er setzte seinen gesamten Apparat ein, kontaktierte die Familie Humboldts in Tegel, recherchierte und überzeugte. So kam Baldur von Schirach Anfang 1941 zu dem Dokument Metternichs, wenige Monate bevor er Gauleiter und Reichsstatthalter von Wien wurde und mit seiner Familie in der Hofburg einzog.«
    Die alte Frau stieg einige Stufen tiefer zu einer verlassenen Gruft und setzte sich auf die Steinumfriedung.
    Dann sah sie Paul an und lächelte. »Sie werden jetzt gleich wieder fragen, woher ich das weiß.«
    Der Reporter winkte ab.
    »Die Frage wäre aber berechtigt. Daniel Singer hat es mir erzählt. Daniel Düsentrieb, wie wir ihn genannt haben. Dem Ingenieur ist nichts zu schwör …« Sie lächelte. »Er war der Mann mit den unbegrenzten Mitteln und den grenzenlosen Beziehungen. Der schöne, elegante Daniel, den wir alle so gerne gehabt hätten und den keine von uns bekam. Ich werde einen Stein auf sein Grab legen und Peter Marzin bitten, das Kaddisch für ihn zu beten. Er ist zwar kein Jude und auch nicht sein Sohn, aber trotzdem so etwas wie sein nächster männlicher Verwandter.«
    Valerie begann die alte Frau mit ganz anderen Augen zu sehen.
    »Was machte Schirach mit dem Dokument, als er es endlich in Händen hielt?«, fragte sie behutsam und versuchte, Sarah wieder zum ursprünglichen Thema zurückzuführen.
    »Er nahm es mit nach Wien, er wollte es nicht mehr aus den Händen geben. Vielleicht war es auch so etwas wie eine Lebensversicherung für ihn. Ich weiß es nicht. Ich habe auch keine Ahnung, was drinsteht, Daniel hat es mir nie gesagt. Aber auch er war hinter den vier Schriftstücken her wie der Teufel hinter den armen Seelen.«
    »Sie meinen, das vierte und letzte Dokument ist in Wien und gar nicht in Berlin?«, fragte Wagner überrascht.
    »Zumindest war es das, so viel hatte Daniel mir erzählt. Er hatte den Weg des vierten Schriftstücks lange nachverfolgt. In Wien verliert sich dann die Spur des geheimnisvollen Papiers. Doch zurück zum Gauleiter. Baldur von Schirach kehrte nie wieder in die österreichische Hauptstadt zurück, er flüchtete bei Kriegsende nach Tirol, arbeitete als

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