Narr
als Wagner und Sina durch die Tür traten.
»Überraschung zur Geisterstunde oder knapp danach«, brummte der Kommissar und schaute demonstrativ auf die Uhr. »Habt ihr eine Eingebung gehabt auf eurer Landpartie?«
»Das war eher ein Schnellkurs in geheimer österreichischer Geschichte«, antwortete Paul und blickte besorgt zu Johann mit seinen blutigen Kratzern im Gesicht. »Wie geht es unserem Sprengstoffexperten und Lebensretter?«
»Alles halb so schlimm«, wehrte Johann bescheiden ab. »Ich war nur nicht schnell genug wieder weg. Nachdem ich die Bombe in einen Seitenarm des Tunnels geworfen hatte, bin ich über die Gleise gestolpert und dann hat mich die Druckwelle ein Stück über den Boden gewirbelt.« Er zuckte mit den Schultern. »Sieht schlimmer aus, als es ist …«
»… Und es tut nur weh, wenn er lacht, also lasst es bleiben und erzählt uns lieber von Wetzdorf«, fiel ihm Berner ins Wort, während Eddy aufstand, um sich um den Kaffeenachschub zu kümmern.
Sina schaute sich suchend um. »Wo ist denn Valerie?«
»Die führt auf Eddys sicherer Leitung ein Gespräch mit der Zentrale in Tel Aviv«, gab Berner zurück. »Und das auch noch im bestbewachten Buntmetalllager Wiens …«
Major Valerie Goldmann kauerte in einem Eck der staubigen Baracke, an eine Kiste mit Kupferdrähten und Resten von Schaltplatinen gelehnt. Vor ihr, in der Mitte des kleinen Raumes, erhob sich Respekt einflößend der Stapel Senfgasgranaten im Halbdunkel. Sie hörte die Stimmen von Walter und Manfred durch die dünnen Wände, die Schritte der beiden Männer, wenn sie kurz die Umgebung inspizierten. Das Gefühl der Sicherheit, das sie dabei überkam, überraschte Valerie. Die Effektivität und Zielstrebigkeit von Eddy und seinen Männern hatte ihr Respekt abverlangt. Sie waren keine Profis, aber mit vollem Einsatz bei der Sache.
Goldmann hatte überlegt, nach dem Tod Spectors die Botschaft anzurufen, sich aber dann für Oded Shapiro entschieden. Sie wollte sich nicht vor Weinstein oder dem Botschafter rechtfertigen. Shapiro hatte Spector geschickt und jetzt sollte er ihren Bericht erhalten, auch wenn es mitten in der Nacht war. Sie hatte den Agenten schließlich erschossen.
Valerie wählte und wartete. Beim dritten Läuten nahm Shapiro ab. Der Geheimdienstchef klang wach wie immer.
»Schlafen Sie eigentlich niemals?«, begann Valerie das Gespräch und hörte Shapiro seufzen. Sie konnte sich den untersetzten Mann mit der dicken Brille vorstellen, wie er sich gerade in die Kissen zurückfallen ließ. Wer ihm auf der Straße über den Weg gelaufen wäre, der hätte nie den Gedanken gehegt, einen der wichtigsten Männer des Mossad vor sich zu haben. Shapiro sah aus wie ein gemütlicher Familienvater, mit Lachfalten um die Augenwinkel und einem kleinen Bauch, der sich unter seinem Hemd abzuzeichnen begann. Seine Haare wurden grau an den Schläfen und lichter am Hinterkopf. Aber wer ihn näher kannte, seinen energischen Ausdruck um den Mund und den stechenden Blick richtig deuten konnte, der verglich ihn mit einem Mungo, jenem kleinen Tier, das die gefährlichsten Schlangen tötete und keinem Kampf aus dem Wege ging. Valerie fragte sich, ob Shapiro diese Fassade des Biedermannes pflegte und sie absichtlich aufrechterhielt, um seine Gegner zu täuschen.
»Schlaf ist ein Luxus, den ich mir nur in kleinen Dosen gönne«, gab der Geheimdienstchef zurück. »Die Welt schläft auch nie, Major Goldmann, und ich möchte nicht allzu viel versäumen.« Shapiro verstummte kurz. »Ich sitze an meinem Schreibtisch und frage mich, was mir das Vergnügen Ihres Anrufes beschert. Irgendwie habe ich erst später damit gerechnet.«
»Wieso erst später?«, fragte Valerie. »Ich hätte mich ja auch nie mehr melden können. Waren es nicht Sie, der einen anderen Agenten auf den Auftrag angesetzt hat?«
»Wer sagt Ihnen, dass ich Spector aus diesem Grund nach Wien geschickt habe?«, erwiderte Shapiro.
»Mit Fragen allein werden wir nicht weiterkommen«, stellte Goldmann trocken fest. »Irgendwer wird die Antworten liefen müssen.«
»Dann fangen Sie doch mit einem Bericht an, Major Goldmann, wie wäre das?« Shapiros Stimme klingt seltsam friedfertig, dachte sich Valerie, und irgendwo in ihrem Gehirn begann eine Alarmglocke zu schrillen. Zögernd begann sie mit der Schilderung der Ereignisse in Schönbrunn. Sie ließ das Telefonat Weinsteins und seine Warnung aus und dachte kurz darüber nach, warum. Aber da hakte Shapiro auch schon
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