Narr
Blick an. Dann antwortete er ruhig, aber bestimmt: »Nein, Irina. Nichts, womit du dich belasten solltest. Aber unser Ausflug nach Grub muss leider warten. Ich verspreche dir, das holen wir nach. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.« Die Enttäuschung zeichnete sich deutlich in ihrem Gesicht ab, aber sie nickte tapfer. Sina gab es einen Stich in die Brust, als er in ihre Augen sah, aber der Mordversuch an Berner und das Attentat gegen die Ministerin waren eine Angelegenheit, in die er sie unter keinen Umständen mit hineinziehen wollte.
Unbeholfen streckte er die Hand nach ihr aus, aber sie wich zurück und meinte nur: »Zieh dein T-Shirt an. Ich gehe jetzt besser.« Dann suchte sie ihre Tasche und fand sie schließlich unter dem Tisch.
Georg stand auf und zog sich das T-Shirt über den Kopf. Er verhedderte sich in den Ärmeln, und als seine Sicht wieder frei war, stand Irina schon an der Tür und drückte die Klinke nieder.
»Irina, es ist nicht so, wie du denkst. Ich will dich nicht loswerden, keinesfalls, jetzt wo wir …«, setzte Georg an. Er versuchte eine Erklärung zu formulieren. »Es tut mir leid, aber in meinem Leben gehen die Dinge momentan drunter und drüber …«
»Ich weiß, das sagen alle. Lass mich raten. Du bist nicht bereit für eine Beziehung, du musst erst deine Vergangenheit aufarbeiten, du hast keinen Platz in deinem Leben, bla bla bla … Diesen Müll habe ich irgendwo schon mal gehört«, schnappte Sharapova und öffnete die Tür.
Sina schnellte vor, packte sie am Oberarm und hielt sie zurück. Irina sah ihn erschrocken an. Sofort lockerte er seinen Griff, lächelte sie an und küsste sie. Die junge Frau entspannte sich und erwiderte den Kuss. Dann sah sie ihn zärtlich an. »Wir sehen uns bald wieder«, flüsterte sie lächelnd und schlüpfte durch die Türe.
»Ja, ganz sicher! Ich verspreche es!«, rief ihr Georg hinterher, aber sie war bereits um die Ecke gebogen. Nur mehr der Hauch ihres schweren Parfüms schwebte in der heißen Luft.
Suarezstraße – Kaiserdamm, Berlin/Deutschland
D as Antiquitätengeschäft mit dem kleinen, fleckigen Messingschild »Daniel Singer« lag an einer der wohl prominentesten Adressen der Stadt und schien trotzdem schlecht zugehen. Das Schaufenster war schmutzig, mit zahlreichen Schlieren vom letzten Regen überzogen. Die Glasetageren dahinter waren nur halb gefüllt und offensichtlich seit Jahren nicht mehr geputzt worden. Was darauf an Waren noch zum Verkauf angeboten wurde, war mit Spinnweben und einer dicken Schicht Staub bedeckt. Der Wind hatte Papiere, leere Pappbecher und eine alte Zeitung in den Eingang geweht und niemand hatte sich die Mühe gemacht, sie wegzuräumen. Der kleine Briefkasten neben der Eingangstür quoll über von Werbeschreiben, Rechnungen und blauen Postankündigungen. Die Kollegen Singers in Berlins bekannter Antiquitätenstraße machten kopfschüttelnd einen Bogen um das Geschäft. Entweder war der alte Mann bereits gestorben oder war im Heim gelandet und bald würde es ein Geschäft zu übernehmen geben, spekulierte man und rechnete bereits an einem akzeptablen Angebot für Laden samt Inhalt.
Doch Daniel Singer dachte gar nicht daran, zu sterben. Er dachte allerdings auch nicht daran, sein Geschäft so attraktiv zu machen, dass unverschämte Kunden, die irgendetwas kaufen wollten, ihn stören könnten. So, wie es war, war es gut, befand er. Andere an seiner Stelle hätten einen lebenslangen Urlaub gemacht und gar nichts gearbeitet. Singer, einer der Erben der großen Singer-Nähmaschinen-Dynastie, war nach dem Krieg nach Deutschland zurückgekehrt, hatte für die amerikanischen Truppen gedolmetscht und war als einer der »Monuments Men« in die Geschichte eingegangen. Er katalogisierte 1945 und 1946 die aufgefundenen Kunstschätze für die US-Regierung, bewahrte viele europäische Bilder und Plastiken vor dem Vergessen oder dem Verschwinden und bekam dafür einen Orden, wenig Geld, aber jede Menge Beziehungen. Ersteres fand er ganz nett, Zweiteres brauchte er nicht und das Dritte nützte er schamlos aus. Als er 1946 in Berlin seinen zweiundzwanzigsten Geburtstag feierte, mit jeder Menge Fräuleins, Champagner und russischem Kaviar, waren bereits Milliardenwerte durch seine Hände gegangen. Dank seines eigenen Vermögens konnte er selbst in den schlechten Jahren nach dem Krieg an der richtigen Stelle die richtigen Angebote machen und bald war Singer zur grauen Eminenz in Europas Kunsthandel avanciert. Er war gut aussehend,
Weitere Kostenlose Bücher