Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narr

Narr

Titel: Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schilddorfer und Weiss
Vom Netzwerk:
diesem Institut. Der Busen der Russin hatte beim Hinsetzen die Führung übernommen und die Knöpfe ihrer Bluse bemühten sich tapfer, die volle Pracht im Zaum zu halten.
    »Was macht ein gut aussehender Mann wie du am Sonntag alleine in seinem Büro, Georg?«, fragte Irina und riss damit Sina aus seinen Betrachtungen.
    »Genau dasselbe könnte ich dich auch fragen, Irina«, antwortete Sina und schaute sie lächelnd an.
    Sharapova wich kurz Georgs forschendem Blick aus, leistete sich dann einen gekonnten Augenaufschlag und wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus ihrem Haarknoten gelöst hatte. Der Effekt war atemberaubend, musste Sina sich eingestehen. Die Blusenknöpfe waren knapp davor, die weiße Flagge zu hissen. »Genau dasselbe, Georg?«, kam es kehlig zurück.
    »Wie bitte?« Georg verstand erst nicht. Irgendwo war seine Ratio im Begriff unterzugehen, kein Rettungsboot in Sicht. Lahm erwiderte er: »Nein … natürlich nicht dasselbe. Du bist … eine … Frau.« Das »gut aussehende« verschluckte er in letzter Minute. Das war offensichtlich. So offensichtlich, wie er sich gerade zum Idioten machte.
    »Schön, dass du es endlich bemerkst«, freute sich Sharapova und strahlte ihn an.
    Georg räusperte sich. Sie hatte ihn eiskalt erwischt. »Heiß ist es hier, nicht wahr?«, unterbrach er die peinliche Stille. »Ich werde das Fenster aufmachen.« Sina sprang auf und eilte an Irina vorbei zum Fenster, öffnete die Flügel und erwartete eine kühle Brise. Stattdessen blies ihm schwüle Luft ins Gesicht, die eher an einen Saunaaufguss erinnerte. Er blickte hinauf zum Himmel und betrachtete die Wolken. »Heute bekommen wir noch ein Gewitter«, versuchte er das Gespräch auf ein sichereres Terrain zu lenken und kam sich dabei vor wie ein Pennäler. Da ertönten von der Straße laute Trillerpfeifen, Stimmen und Trommeln. »Was zum Teufel ist hier los?«, wunderte sich der Wissenschaftler und streckte seinen Kopf weiter zum Fenster hinaus, um zu sehen, woher der Lärm kam.
    »Darum bin ich ja heute hier, Georg«, beantwortete Irina seine Frage. »Hast du das E-Mail denn nicht bekommen? Heute ist eine große Demonstration wegen der Finanzministerkonferenz. Die Hochschülerschaft hat sich angeschlossen und zu Protesten aufgerufen. Auch die Lektoren und ein paar Professoren werden mitmarschieren.«
    »Tut mir leid, den Mist lese ich nie«, grummelte Georg. »Ist Meitner auch dabei?«
    »Nein. Der hält grundsätzlich nichts von Demos.« Sharapova schlug die Beine übereinander und übersah dabei offenbar, dass ihr Rock hinaufgerutscht war. Georg sehnte sich nach einer kalten Dusche und nicht nach einem Marsch durch die Innenstadt mit einem Haufen schreiender und Transparente schwingender Studenten.
    »Kluger Mann, der streitbare Wilhelm«, sagte Sina mehr zu sich selbst. »Warum um Gottes willen willst du da hin? Das passt irgendwie nicht zu dir. Lass es sein«, ergänzte er an Irina gewandt, konnte den Blick aber nicht von der Ringstraße wenden. Das Trommeln und Schreien kam näher, die Demonstration schien größer als vermutet.
    »Warum? Machst du dir Sorgen um mich?« Sharapova war aufgestanden und hatte sich Georg genähert. Ohne Vorwarnung legte sie ihre Arme von hinten um ihn. Er spürte ihren Atem im Nacken, erschrak und hätte sie fast abgeschüttelt. In letzter Minute konnte er den Reflex unterdrücken. Es war lange her, seit er das letzte Mal eine Frau so nahe gespürt hatte. Er dachte an Clara, doch ihr Bild wurde unscharf und zerrann sofort wieder im Grau der Vergangenheit.
    Da Irina fast genauso groß wie Georg war, erreichte sie mühelos mit ihrem Mund sein Ohr. »
Come as you are
steht auf deinem T-Shirt«, hauchte sie. »Da bin ich!«
    »Ähh …« Georg fiel absolut nichts mehr ein. Sharapovas Atem in seinem Ohr wurde schneller und er fragte sich noch, ob er sich umdrehen sollte, aber da wurde ihm die Entscheidung bereits abgenommen. Plötzlich stand die Russin vor ihm und der Kalvarienberg lag in Reichweite. Georg wurde heiß und kalt und dann pressten sich die Lippen Irinas auf seine und alles war ganz anders als noch Minuten zuvor.
    Die Russen lassen nichts anbrennen, dachte sich Sina noch und dann genoss er nur mehr die sich ihm entgegendrängende Irina und erleichterte den Knöpfen endlich ihre Aufgabe …
    »Glaubst du, wir haben genug Platz auf dem Boden zwischen den Papierstapeln?«, flüsterte Irina und Sina antwortete verwirrt: »Ich kann ja auch den Schreibtisch abräumen

Weitere Kostenlose Bücher