Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)
besser, Sie gehen jetzt!«
»Warum war er ein Schwein?«
Sie schob den jungen Mann kurzerhand aus der Küche und durch den Flur, wo Zerberus wieder wütend zu bellen begann.
»Fragen Sie das die anderen!«
Michael Wiener verabschiedete sich schnell und suchte kopfschüttelnd nach dem Namen und der Adresse der nächsten Zeugin auf seiner Liste.
Kati Andreas war alleinerziehende Mutter im Babyjahr. Auch sie war wenig begeistert, als Wiener sie nach Hans-Jürgen Mehring fragte. Ihre tiefschwarz gefärbten Haare und das blasse Gesicht erinnerten ihn an Morticia aus dem Film ›Addams Family‹, ihre Lippen hatte sie blutrot nachgezogen und er fand, sie brauche eigentlich kein Kostüm mehr, um teuflisch auszusehen. Sie bat ihn herein und führte ihn in ein lichtdurchflutetes Wohnzimmer. In einer Ecke stand ein Babybett und darin schlief Bonifaz, ihr vier Monate alter Sohn. In einer anderen Ecke warteten ein Bügelbrett und davor drei Körbe zu bügelnder Wäsche. Sie deutete darauf und fragte:
»Was dagegen, wenn ich weitermache? Der Kleine lässt mir manchmal nicht viel Zeit – da muss ich jede Gelegenheit nutzen, sonst haben wir bald nichts mehr anzuziehen.« Das glückliche Lächeln, mit dem sie zu dem Kinderbettchen hinübersah, verzauberte ihr Gesicht und ließ es von innen heraus strahlen.
»Mehring war egoistisch und hat sich immer aufgeführt, als wäre der Verein ohne ihn nichts wert. Dabei sind wir eine echt gute Truppe. Wir tanzen richtig professionell und Hans-Jürgen hatte nicht halb so viel Ahnung von Choreografie und Tanzkunst, wie er uns immer glauben machen wollte. Es zählte mehr, wie jemand aussah, als wie er sich bewegte.«
»Aber die Aufstellung der Tänzer hat er allein festgelegt oder hatte er jemanden, der ihn dabei unterstützte? Vielleicht ein anderer Verein?«
»Nein. Er hat das entschieden und nicht selten gab es deswegen böses Blut in der Truppe.«
»Weil es gar nicht wirklich ums Tanzen ging«, schlussfolgerte Michael Wiener und sie sah ihn lange mit ihren hellbraunen Augen an, als versuche sie abzuschätzen, wie weit sie ihm vertrauen konnte.
»Ja. Er bestand zum Beispiel darauf, dass die Tänzer, besonders die in der ersten Reihe, ›normal‹ waren. Schwule und Lesben hatten keine Chance bei ihm. Wer da nicht freiwillig ging, wurde von ihm rausgemobbt. Es sollten entweder Alleinstehende sein, die allerdings keine zu häufigen Partnerwechsel haben durften, oder verheiratete, treue Familientypen. Religionszugehörigkeit war nicht vorgeschrieben, aber das wäre noch das Tüpfelchen auf dem i gewesen.«
»Aber das konnte er doch unmöglich alles wissen. Da wäre er ja den ganzen Tag nur mit Bespitzeln beschäftigt gewesen!«
»Naja, dafür hatte er Informanten.« Sie lachte leise und warm über Wieners verblüfftes Gesicht.
»Wir sind ein relativ kleiner Verein. Da wird bei jedem Treffen getratscht. Es hat nie lange gedauert, bis ihn die entsprechende Information erreicht hatte.«
»Und wer wird nun die Choreografie übernehmen?«
Sie prustete verhalten und kicherte dann. »Rolf. Rolf Bartel. Aber dem haben wir gestern Abend die Grenzen aufgezeigt. Wir lassen uns nicht mehr derart unterdrücken.«
Sie legte einen Strampelanzug zurecht und fuhr mit dem Bügeleisen darüber.
»Also, Sie meinen, Hans-Jürgen Mehring sei egoistisch gewesen und habe versucht, alle Zügel – auch im Privatleben seiner Teufel – fest im Griff zu behalten. Er hat die Kriterien festgelegt, die erfüllt werden mussten, um an vorderster Front tanzen zu dürfen. Was können Sie mir noch über ihn sagen?«
Nachdenklich legte Kati Andreas den Strampler zusammen, platzierte ihn auf einem Stapel gebügelter Babykleidung und fischte ein T-Shirt aus dem Korb. Während sie es zurechtstrich, sah sie Wiener wieder mit diesem seltsamen Blick an, der ihn unruhig werden ließ.
»Wie viel Wahrheit können Sie ertragen? Gut, Sie sind bei der Polizei, aber das sagt ja nicht wirklich etwas, oder? Mehring war ein Schwein.«
»Das habe ich heute schon einmal gehört.«
»Ach ja, von wem? Ich will es gar nicht wissen, ist nämlich völlig egal. Die Plätze in der ersten Reihe musste man sich durch ›Wohlverhalten‹ erwerben. Wer da tanzen wollte, musste sich seinen Wünschen fügen – seit ich schwanger war, tanze ich hinten.«
»Wünsche in sexueller Hinsicht?«
»Ja. Was dachten Sie denn? Es ging nicht um italienische Küche!«
»Sie mussten mit ihm schlafen? Alle?« Sprachlos starrte er die Frau an.
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