Narrentanz - Bürkl, A: Narrentanz
aufgeweicht vom Schnee, aber als sie es aufschlug, war einiges lesbar, bruchstückhaft. Sie hatte doch so ein Notizbuch schon gesehen … bei Ariane, in ihrer Tasche, als sie am Weihnachtsabend ins Gespräch gekommen waren.
Berenike ließ sich in den Schnee fallen. Sie schwitzte, atmete tief durch. Dann kramte sie in der Jacke nach dem Handy. Zum Glück hatte sie es aufgeladen, das vergaß sie häufig, seit sie der hektischen Eventbranche den Rücken gekehrt hatte.
Sie rief Jonas an. »Ich«, sie musste sich räuspern, »ich habe etwas gefunden. Vielleicht hat es nichts – oder nein, ich denke, es hat etwas mit den Katzen zu tun. Ein Halsband. Ohne zugehörige Katze. Und ohne Namens- oder Adressanhänger.« Sie sah hoch. »Und noch etwas. Das vielleicht Ariane gehört. Ich bin unterhalb vom Loser, am Seeufer. Ober mir steht eine kleine Holzhütte. Irgendein Unterstand oder so. Kommst du? Du kommst doch, Jonas, bitte? Danke.«
Er würde dienstlich herkommen, das hieß: mit Begleitung. Berenike legte auf. Sie hasste das Warten. Ging auf und ab, rieb sich die Hände, spürte gleichzeitig immer noch den Schweiß und die Nässe in ihrem Nacken. Und diese Atemnot!
Die Thermoskanne Tee fiel ihr erst nach einer Weile ein. Kaum hatte sie den Verschluss abgeschraubt, nahm sie den heimeligen Geruch von Kamillentee wahr. Wie bei Tante Salome, früher, wenn sie ausnahmsweise bei der alten Dame nächtigen durfte. Tante Salome hatte Séancen abgehalten und das Kind verstanden, das dunkle, traurige Kind, das Berenike gewesen war. Salome, eine der wenigen Verwandten ihres Vaters, die die Konzentrationslager überlebt hatten.
Wie damals schluckte Berenike vorsichtig. Die Wärme tat wohl, in all dem Wahnsinn, der rund um sie vorging. Sie umrundete das rote Lederband, das einsam im Schnee lag. Sie hatte Angst vor dem, was hier geschehen sein mochte. Trotz der Wärme des Tees klapperten ihre Zähne. Keine Katze, die sie kannte, war imstande, ihr Halsband allein abzulegen. Sie rieb sich die Augen und wartete, während sie sich die Hände an dem Becher wärmte.
9.
Ein Bad erfrischt den Körper, eine Tasse Tee den Geist. (Japanisches Sprichwort.)
Es war zu viel. Alles war zu viel. Das Warten. Die Unsicherheit. Die Kälte. Das feuchte Schneegeriesel im Gesicht. Die verschwitzte Kleidung, in der sie umso mehr zitterte. Jonas hatte sie gebeten, zu bleiben. Alles in ihr fühlte sich starr an, festgefroren, nur ein Gedanke blieb im Kopf lebendig: Dr. Watson. Der arme Kater. Ihr graute davor, was die Polizisten unter dem Schnee finden würden. Wagte sich die Leiche ihres Katers gar nicht auszumalen. Jonas kam, endlich, alarmierte nach einer ersten Bestandsaufnahme die Spurensicherung.
Während Berenike herumstand, arbeiteten sich die Beamten durch das grausame Weiß, der Hütte entgegen. Immer steifer fühlten sich Berenikes Beine trotz des Hin- und Hergehens an, immer weniger der Bewegung fähig. Das stetige Treiben der Schneeflocken zeichnete sich gegen die dunkle Holzwand des Häuschens ab. Der Wind peitschte ihr die kalte Nässe ins Gesicht, ohne Erbarmen. Kleine Eisnägel waren die Flocken mittlerweile, trieben in Massen hinaus auf den See, sodass man kaum noch Trisselwand oder Tressenstein ausmachen konnte. Der grün bewaldete Plattenkogel war gerade noch in Umrissen erkennbar. Vom weiter weg gelegenen Dachstein war nichts mehr zu sehen.
Berenike stapfte ein paar Schritte zum Ufer hinüber, prompt rutschte ihr der klumpige Schnee in die Stiefel, dass ihre Socken sich auch noch durchnässten. Widerwillig nahm sie die Hände aus den Jackentaschen und klaubte das eisige Zeug aus den Schuhen.
»Blut«, hörte sie einen von den Tatortleuten murmeln. Da war es wieder, das Zittern in ihr. Berenike konnte sich nicht vorstellen, wie sie das je loswerden sollte. Zu schön wäre das, zu unglaubwürdig an diesem bitterkalten Ort. Das Blumenmeer der Narzissenzeit schien unerreichbar weit weg.
»Blut?«, rief sie alarmiert und trabte, so rasch das im hohen Schnee möglich war, an den Mann heran. Es war der Dicke von neulich, der von der Spurensicherung. »Katzenblut? Ist – eine Leiche hier? – Mein Kater …?«
»Schsch, Berenike.« Jonas war herangekommen, drückte ihre Schultern.
»Aber das Blut – mein Kater – vielleicht ist er verletzt.«
Jonas zog sie zur Seite. »Es gibt keine Katzen und keine Kadaver hier. Weder in der Hütte noch sonst wo. Geh nach Hause, Nike, hm? Wärm dich auf. Soll dich jemand fahren?«
»Nein,
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