Narrentreiben: Ein Fall für Hubertus Hummel (Hubertus Hummel-Reihe) (German Edition)
Unverschämtheit! Für unsere historische Narrozunft lege ich meine Hand ins Feuer. Abgesehen davon: Glauben Sie, ein Villinger würde einen Narro ermorden, solange der in seinem Häs steckt? Das wäre ja …« Er schien kein Wort zu finden, das stark genug war – und begnügte sich schließlich mit: »Absurd!«
»Ihre Empörung ist verdächtig«, konterte der Kommissar. »Ich rate Ihnen, bleiben Sie ruhig. Sie geben also zu, dass der Einsatz des Ermordeten für eine saubere Fasnacht manchem zu weit ging?«
Bäuerle hatte sich wieder im Griff. Er nickte. »Natürlich. Vor ein paar Jahren ist eine große Abordnung der Villinger Narros bei einem Jubiläum der Schwenninger Narrenzunft in der Messehalle einmarschiert. Mit Narromarsch, Narrosprung, Häs und allem Pipapo. Das kam in Schwenningen phantastisch an. Einige hatten Tränen in den Augen. Der Berger hätte die aber hinterher am liebsten teeren und federn lassen.«
»Warum das denn?«, fragte Müller verständnislos.
»Weil die Villinger Narros traditionell nur innerhalb der eigenen Stadtmauer bleiben. Bei Brauchtumsveranstaltungen machen wir zwar Ausnahmen, aber dass wir nach Schwenningen gegangen sind, fand der Berger inakzeptabel.«
Bäuerle zog ein zerknülltes Taschentuch aus der Hosentasche und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »In allen möglichen Pamphleten hat der Berger gehetzt – gegen die eigenen Leute, die Verrat an der Tradition begehen würden, aber auch gegen andere Narrenzünfte. Das sei alles Schund, unecht und abgekupfert, hat er behauptet. Die Schwenninger hat er als Beispiel genannt … Und gegen die Rottweiler hat er ohnehin gemotzt, aber das hatte auch persönliche Gründe: Seine Exfrau stammt aus Rottweil.«
Müller fand es an der Zeit, das Gespräch vorerst zu beenden. Vor allem aber war es Zeit, endlich dieses überhitzte Büro zu verlassen. Ich werde hier erst wieder reingehen, wenn die Heizung repariert ist, schwor er sich, nachdem er Bäuerle nochmals unter Androhung aller möglichen Strafen zum Stillschweigen verdonnert hatte.
9. FRIEDHOFSGEFLÜSTER
Eine riesige, schwarz gekleidete Menschentraube hatte sich vor der Villinger Friedhofskapelle gebildet. In dem romanischen Türmchen, dem ältesten erhaltenen Bauwerk der Stadt, bimmelte hell die Glocke. Im Kircheninneren gab es längst keinen Platz mehr, selbst die Parkplätze des Friedhofs waren alle belegt.
Hummel, der zusammen mit seinem Freund Riesle vor dem Eingangsportal der Kapelle stand, schüttelte den Kopf. Schließlich hatte Didi ihnen berichtet, dass der Verstorbene alles andere als beliebt gewesen war. Und nun sah seine Beerdigung aus wie eine Fronleichnamsprozession. Wahrscheinlich lag es daran, dass Berger eben doch zur Lokalprominenz zählte.
Wie sollten sie in diesem Menschenauflauf nur Bergers Haushälterin finden? Den Tipp, sich an Berta Gremmelsbacher zu wenden, hatten sie von Hummels Mutter erhalten. Die Haushälterin hatte so ziemlich jedem in Villingen erzählt, dass sie die Letzte gewesen sei, die den »armen Herrn Berger« (»Und er war so ein guter Chef!«) noch lebend gesehen habe.
»Bub, stell dir vor«, hatte Hummels Mutter am Vorabend bei ihrem Anruf gesagt. »Die arme Frau Gremmelsbacher. Und der arme Herr Berger!«
Frau Hummel rief zurzeit fast täglich bei der Familie ihres Sohnes an oder kam vorbei, weil sie wissen wollte, wie es »dem Urenkel« ging.
Über Bergers Exfrau hatte Hummels Mutter nur gewusst, dass sie in Rottweil wohnte, über die ehemaligen Lebensgefährtinnen des Ermordeten sowie die momentane hatte sie gar nicht Bescheid gewusst. Als Hummel sie gefragt hatte, war ihr das Thema sogar unangenehm gewesen. Die Liebschaften eines Toten – über so etwas sprach man nicht.
Der Dekan hielt in der Kapelle gerade die Trauerpredigt, die Hummel und Riesle nur bruchstückhaft vernahmen: »Engagiert«, »sozial«, »allseits beliebt«, »Fasnacht war sein Leben« und »ein tragischer Tod« lauteten die Stichworte.
Klaus Riesle versetzte seinem Freund einen kleinen Hieb mit dem Ellbogen. »Sehr diplomatisch, der Herr Dekan«, flüsterte er.
»Lass uns lieber mal überlegen, wie wir gleich an die Frau Gremmelsbacher herankommen«, erwiderte Hubertus.
Eine Angelegenheit, die nicht einfach zu werden schien.
»Pssst«, kam es aus dem Hintergrund. Schon jetzt ernteten die beiden für ihre Tuschelei böse Blicke. Am liebsten hätte Hubertus Hummel kehrtgemacht. Eine Recherche in einem Mordfall auf einer Beerdigung – das
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