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Naschkatze

Titel: Naschkatze Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Cabot
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eingelassen werde (er hat mir keinen Schlüssel gegeben, und ich fürchte, er wird’s auch nicht tun, bevor ich beweise, dass ich nicht nur Kreuzstiche beherrsche), erwartet mich eine tumultartige Szene.
    Da regt sich eine ältere Frau mit aufgebauschtem Haar auf, in jener grellbunten Kleidung, die sie als »Brücke-und-Tunnel-Typ« abstempelt (wie ich mittlerweile gelernt habe, ist das jemand, der außerhalb von Manhattan wohnt und eine Brücke oder einen Tunnel benutzen muss, um hierher zu gelangen). Sichtlich erbost, hält sie einen riesigen weißen Karton hoch und schreit: »Schauen Sie sich das an! Schauen Sie sich das an!« In ihrer Nähe entdecke ich eine junge Dame, die ihre Tochter sein muss. Allerdings ist sie etwas schicker gekleidet, in Schwarz, und überaus zierlich gebaut. Missgelaunt und rebellisch starrt sie vor sich hin.

    »Ja, Madame, ich weiß«, sagt Monsieur Henri. »Das ist nicht zum ersten Mal passiert. So etwas sehe ich sehr oft.«
    Ich versuche niemandem ins Gehege zu kommen und schleiche an der Wand entlang zu Madame Henri, die in der Tür zur Werkstatt steht, teilweise von einem Vorgang verborgen, und das Drama beobachtet.
    »Was ist los?«, frage ich.
    Verächtlich schüttelt sie den Kopf. »Die beiden waren bei Maurice«, lautet die knappe Antwort, die mir natürlich nichts verrät.
    Wer Maurice ist, weiß ich noch immer nicht.
    Nun greift Monsieur Henri in den Karton. Vorsichtig zieht er ein langärmeliges, jungfräuliches weißes Kleid aus hauchdünnem Stoff heraus.
    Zumindest ist es einmal weiß gewesen. Jetzt hat die Spitze eine kränkliche gelbe Schattierung angenommen.
    »Und er hat doch versprochen, das Kleid würde in der Konservierungsbox nicht vergilben!«, jammert die ältere Frau.
    »Selbstverständlich hat er das versprochen«, bestätigt Monsieur Henri trocken. »Und als Sie ihm das Kleid zurückgebracht haben, hat er behauptet, es sei nur verfärbt, weil Sie das Konservierungssiegel aufgebrochen hätten.«
    »Ja!« Vor lauter Entrüstung zittert ihr Kinn. »Genau das hat er gesagt! Er hat mir vorgeworfen, es wäre meine Schuld, denn ich hätte keine Luft in die Box lassen dürfen.«
    Unwillkürlich stoße ich einen Protestlaut hervor. Damit lenke ich Monsieur Henris Aufmerksamkeit auf mich. Sofort erröte ich, trete hastig einen Schritt zurück und hoffe,
dass er sich abwendet. Aber seine blauen Augen fixieren mich. »Mademoiselle? Wünschen Sie etwas zu sagen?«
    »Nein«, erwidere ich rasch und spüre Madame Henris Stechblick. »Nicht direkt.«
    »Also doch.« Monsieur Henris Augen leuchten glasklar. In der Nähe sieht er ohne seine Brille nichts. Aber seine Weitsicht ist geradezu unheimlich. »Was wollten Sie uns mitteilen?«
    »Nun...«, beginne ich widerstrebend und fürchte, etwas zu sagen, das ihm missfallen wird. »Wenn man Textilien in einem versiegelten Container verwahrt, könnte man ihnen schaden – besonders, wenn Feuchtigkeit hineindringt. Dann beginnt das Material manchmal zu schimmeln.«
    Wie ich sehe, lächelt er zufrieden. Das ermutigt mich, weiterzusprechen.
    »Im Metropolitan Museum of Art wird kein einziges der historischen Kostüme in einem luftdichten Raum gelagert. Und alle sind wunderbar erhalten. Nur eins ist wichtig – man muss alte Stoffe vor dem Sonnenlicht schützen. Aber dieses Kleid ist sicher nicht vergilbt, weil das Siegel an der Konservierungsbox aufgebrochen wurde, sondern weil es vor der Lagerung nicht fachgerecht gereinigt wurde. Wahrscheinlich wurde es überhaupt nicht gesäubert, und die Flecken von Champagner oder Schweiß wurden nicht behandelt.«
    Monsieur Henri belohnt mich mit einem strahlenden Blick, der seiner Gemahlin den Atem raubt. Überrascht schaut sie mich an. Offenbar findet sie mich nicht mehr ganz so dumm wie neulich.
    »Wie kann das sein?«, fragt die Kundin und runzelt die Stirn. »Wenn dieses Brautkleid vor der Lagerung gereinigt wurde …«

    »Großer Gott, Mom!«, fällt ihr das Mädchen ärgerlich ins Wort. »Begreifst du’s denn nicht? Dieser Maurice hat es nicht gereinigt, einfach in die Box geworfen, den Deckel geschlossen und behauptet, er hätte es gereinigt.«
    »Und er hat Ihnen eingeschärft, die Box auf keinen Fall zu öffnen«, ergänzt Monsieur Henri. »Sonst würde das Material vergilben, und die Garantie wäre hinfällig. Also bekommen Sie Ihr Geld nicht zurück.« Ts, ts, schnalzt er mit der Zunge und mustert das Kleid in seiner Hand. Übrigens nicht das hübscheste Brautkleid, das ich jemals

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