Naschmarkt
für Sie tun? Hallo? Hallo?« plärrt. Ich muss das Gewicht von einem Bein aufs andere verlagern und beiße mir vor Schmerz auf die Lippen. Annili ergreift meine Hand, die ohne Handy.
»Wissen Sie, Dotti, ich habe nicht aufgehört, fest daran zu glauben, dass ich eines Tages nach New York komme. Ich brauche mir nur ein Flugticket zu kaufen, in ein Flugzeug zu steigen und ein paar Stunden still zu sitzen. Eigentlich ganz einfach. Ich war nur nie mutig genug.«
Liebst du schon oder lebst du noch?
Fakegesicht
Freitag,
28
. Oktober
Im Netz tragen wir alle Masken. Hinter der Tastatur unserer virtuellen Kommunikation sind wir genau so, wie wir gern wären. Das Licht des Bildschirms erhellt uns von der Seite, die wir beleuchtet haben wollen. Wer schüchtern ist, gibt sich online als charmanter Witzbold, wer keinen Humor hat, versteckt sich hinter einem Strichcode aus Smileys, und die Emoticons der Internetgeneration
faken
jeden passenden Gesichtsausdruck mit nur wenigen Klicks.
Nehmen wir zum Beispiel meine neueste
LiLo
-Eroberung, meistereder 35 . Sein Markenzeichen ist das Zwinkersmiley ;-). Diese Kombination aus Semikolon, Strich und Klammer kommt relativ harmlos daher, ist aber eine Geißel der Menschheit. Wann genau haben wir aufgehört, unsere Texte augenzwinkernd zu formulieren? Wann ist uns die Ironie der Sprache ausgegangen? Heutzutage liest sich ein virtueller Annäherungsversuch in etwa so:
Hallo! ;-) Dein Profil gefällt mir, du bist sehr sexy. ;-)) Wollen wir mal chatten? Ich bin ein guter Zuhörer. ;-)
Das erste Zwinkersmiley ist wohl von der allgemeinen, zublinzelnden Sorte. Meine sexuelle Ausstrahlung dagegen scheint ihre Wirkung zu verfehlen, wenn ich lediglich doppelzwinkersexy bin. Dafür ist Meister Eder ein Genie des abschließenden Zwinkerns. Mit so einem Semikolon-Grinsen macht man schließlich nichts falsch. Vier Sätze, drei Zwinkersmileys. Hätte er sie weggelassen, wäre das Anschreiben zwar an Bedeutungslosigkeit kaum zu überbieten, würde einem aber auch nicht klammeraffig entgegenbrüllen: »Ich bin ein lustig-ironischer Single und blinzle mir deinetwegen ein nervöses Zucken ins Auge.«
Ich stelle mir in solchen Fällen immer einen blassen Enddreißiger mit Pearl-Brille vor, der mit versteinerten Gesichtszügen Smileys in die Tastatur klopft. Und in absehbarer Zukunft laufen wir vermutlich alle mit verspannten Mienen herum, und wenn uns jemand begegnet, den wir kennen, läuft der Dialog ungefähr so:
»Wie geht es dir?«
»Gut, Doppelpunkt, Strich, Klammer zu. Und dir?«
»Nicht so. Doppelpunkt, Strich, Klammer auf. Hörsturz und Tinnitus. Aber mein Arzt sagt, ich soll die Ohren steifhalten, Semikolon, Strich, Klammer zu, Klammer zu.«
»
LOL
!«
»G.«
Ich habe ja ohnehin die starke Vermutung, dass *fg* gar nicht für »fieses Grinsen«, »fettes Grinsen« oder »freches Grinsen« steht, sondern für »Fakegesicht«. In diesem Sinne: ;-)
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Montag, 31 . Oktober
»Selber Rotkäppchen, du Zwerg«, entgegnet Rita dem schmächtigen Typ, an dem ein grünes Seidenhemdchen lose herunterhängt und dessen blasses Gesicht mit einem rotbraunen Vollbart ausgestattet ist. »Gibt es hier eigentlich auch etwas anderes Alkoholisches als Met und Butterbier?«
Wir stehen am Getränkebuffet und halten nach trinkbaren Flüssigkeiten Ausschau.
»Ich bin kein Zwerg, sondern ein Gnom«, antwortet der Typ und schiebt seinen Bart beiseite, um einen Schluck Met zu nehmen. »Zwerge sind barbarische Tölpel, wir Gnome sind geistige Genies.« Beim Trinken hält er sich zusätzlich die Nase zu. Rita beobachtet ihn dabei.
»Ist das Zeug so schlecht?«
Er schüttelt den Kopf. »Ich mag keinen Alkohol.«
»Und warum trinkst du dann Met?«, frage ich.
Er sieht uns an, als wären wir beide total durchgeknallt.
»Was sollte ein Gnom denn sonst trinken?«
Kopfschüttelnd lässt er uns stehen.
»Meinst du, er hat auch ein Gnomschwänzchen?«
»Rita!«
»War ja nur hypothetisch gemeint«, sagt sie und zupft beleidigt an ihrer Kopfbedeckung herum.
»Jetzt lass das Ding mal, wo es ist, du machst es nur schlimmer.«
In dem Moment kommt Lorenz mit zwei gefüllten Tellern auf uns zu. Er sieht in seinem Kostüm ein wenig unglücklich aus, schließlich hatte er weitaus originellere Ideen als Harry Potter mit einer beschissenen weißen Eule auf der Schulter. Aber nachdem ich mich geweigert habe, mehr als einen schwarzen Hogwarts-Umhang zu
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