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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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nicht, er war viel, viel zu weit weg.
     
    Zu Hause auf dem Tisch lag ein Umschlag.
EXTRA - GELD  –
WEGEN NASHVILLE
, stand darauf und, winzig klein:
Hab dich lieb. Halte durch, Mama.
    Und alles war gut, für den Moment.
    Dann blätterte die Zeit den Kalender um, und alles wurde schlecht.
     
    Sie fand den Brief am nächsten Morgen, als sie in einem Anfall von Ordentlichkeit den Briefkasten aufschloss. Sie hatte den Briefkasten noch nie aufgeschlossen, seit sie hier wohnte, bisher hatte sie immer nur die Hand hineingesteckt. Dieser Brief lag offenbar schon eine Weile am Boden des Kastens. Er war von Svenjas Vermieter. Es war ein Samstag, und Svenja nahm den Brief und Nashville mit zum Frühstücken in den
Pfauen
.
    »Meine Mutter lädt uns ein«, sagte sie.
    Nashville setzte sich auf das breite Fensterbrett und schnitt sein Brötchen sorgfältig in schmale Streifen, ohne Svenja anzusehen. Die Sonne schien.
    Svenja öffnete den Brief, ohne viel dabei zu denken. Vielleicht kam jemand, um den Strom abzulesen. Vielleicht wollte jemand den Boiler endlich reparieren.
    Sehr geehrte Frau Wiedekind
, las sie, in steiler, etwas unbeholfener Handschrift.
Es ist entschieden worden, dass das Haus, in dem Sie wohnen, nun doch restauriert und modernisiert wird, da von der Stadt ein neuer Förderetat geschaffen wurde. Daher sehe ich mich gezwungen, den bestehenden Mietvertrag mit Wirkung zum 1 . 7 . zu kündigen. Die Restaurierungsarbeiten beginnen am 2 . 7 . Sie haben die Möglichkeit, die Wohnung später zu anderen Konditionen wieder zu beziehen
.
    Svenja knüllte den Brief zusammen. »Wir müssen raus«, sagte sie. »Shit! Die Wohnung wird umgebaut. Wir müssen uns was anderes suchen. Und was anderes wird teurer.« Sie trank ihren Milchkaffee aus, als wäre es Schnaps, den man auf ex trinken musste, und knallte die Tasse auf die Untertasse. »Bis Dienstag! Bis Dienstag müssen wir umgezogen sein! Wir haben nicht mal eigene Möbel.«
    »Ich habe das Akkordeon«, sagte Nashville und begann, ein Stück Wurst zu zerschneiden. Svenja wünschte, er hätte das Messer weggelegt.
    »Na prima, das Akkordeon«, sagte sie. »Dann können wir ja zu zweit in dem Akkordeon schlafen und auf dem Akkordeon kochen. Klasse!«
    Sie legte den Kopf auf die Arme, um eine Weile nichts zu sehen und zu denken. Sie wollte nicht ausziehen. In der Wohnung am Jakobusplatz war zu viel geschehen, was sie und die Wohnung unzertrennlich machte. Eine kleine Hand legte sich auf ihre Schulter.
    »Ich kann auf dem Akkordeon spielen«, sagte er. »Ich kann Geld verdienen. Manchmal mache ich auch Sachen richtig rum.«
    »Du musst kein Geld verdienen«, sagte Svenja und atmete tief durch. »Du bist ein Kind. Ich suche mir einen Job, so wie Friedel, und wenn die Wohnung fertig restauriert ist, ziehen wir wieder zurück. Dann ist sie teurer, aber viel schöner. Bestimmt.«
    Sie sah auf. Nashville hatte sich über sie gebeugt, besorgt. Und für einen Moment waren ihre Gesichter sich ganz nah. Sie dachte an den Paradiesgarten auf dem Österberg. Beinahe konnte sie die Sonne auf den Gräsern dort riechen. Sie stand auf und suchte das Geld für ihr Frühstück zusammen.
    »Ab jetzt gibt es trockenes Brot und Luft«, sagte sie grimmig.
    Sie suchte das ganze Wochenende nach einer Wohnung, telefonierte Anzeigen durch, krempelte sämtliche Studentennetzwerke dreimal um, las Aushänge – aber das Semester lief, es gab nichts. Nichts bis auf zwei Zimmer in verschiedenen Studentenwohnheimen. Auch die Zimmer waren teurer als die unrestaurierte Wohnung am Jakobusplatz.
    Sie ging sie sich ansehen. Ohne Nashville. Die Wohneinheiten besaßen Gemeinschaftsküchen am Ende von langen Korridoren. Sie waren wie Krankenhäuser: ordentlich, aufgeräumt, steril. Die Studenten, die Svenja dort sah, glichen den Katharinas und Kathrins aus ihrem Semester aufs Haar. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, Nashville in eine solche Welt mitzunehmen; es würde keine zwei Tage lang gut gehen.
    Als sie nach Hause wanderte, lagen Worte auf ihren Lippen wie ein bitterer Geschmack:
Ich werde mich von ihm trennen müssen. Der Zeitpunkt ist da. Früher als geplant.
    Die Worte waren rot und taten weh.
     
    An diesem Abend lasen sie das Märchen vom Mädchen mit den Schwefelhölzern. Nashville schlug die Seite auf und legte das Buch aufs Bett. Es war wie ein Vorwurf. Als wüsste er, dass sie plante, ihn doch noch zu verlassen.
    Siehst du? Das Mädchen mit den Schwefelhölzern war auch ganz allein. Und da liegt

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