Natascha
herauskommt! In ihrem Zimmer schlafe ich!«
»Natürlich, natürlich.« Der Volkskommissar nickte zu den Ärzten. »Die Genossin Natascha Tschugunowa hat ab heute jeden Wunsch frei. Genosse Stalin möchte jeden Mittag einen Bericht über sie …«
Neben dem Bett hertappend zog die kleine Karawane mit Luka zum Zimmer Nataschas. Doroguschin blickte ihnen nach, ehe er sich wieder an Tumanow wandte.
»Sie sehen, Genosse – es war eine Kleinigkeit!« sagte er zufrieden. »In zehn Tagen kann sie wieder singen, nur ein kleiner Kratzer am Bauch ist's … kaum sehen wird man ihn …«
»Der Blinddarm –«, sagte Tumanow leise. Seine Stimme schwankte. »Was seid ihr nur für Menschen –«
Doroguschin kniff die Lippen zusammen. »Die Sängerin Tschugunowa wird nie mehr ein Kind bekommen … ab heute ist sie vollkommenes Volkseigentum –«
Tumanow schwieg. Er spuckte nur vor Doroguschin aus und verließ schnell die Klinik.
Fünf Tage blieb Luka wie ein Hund am Bett Nataschas sitzen. Er kostete die Speisen, die sie bekam, und war der Tee zu kalt oder der Pudding nicht süß genug, warf er sie dem Krankenpfleger an den Kopf oder drohte der Schwester, sie zu vergewaltigen.
Jeden Tag kamen auch Tumanow und Doroguschin zu Besuch, um sich nach dem Befinden zu erkundigen. Sie kamen nie zusammen, sondern immer getrennt, und sie vermieden es, sich zu begegnen.
»So eine dumme Blinddarmreizung kommt plötzlich wie ein Blitzschlag«, sagte Doroguschin und brachte als Geschenk frisches Obst mit und eine Flasche leichten Rotwein. »Da muß man zugreifen und ihn 'rausschneiden, ehe er vereitert und wer weiß was Schlimmes daraus entsteht. Haben Sie noch Beschwerden, Genossin Tschugunowa?«
Natascha schüttelte den Kopf. »Keine, Genosse Doroguschin. Nur ein taubes Gefühl im Leib.«
»Das gibt sich! Das ist vorübergehend! In wenigen Tagen werden Sie entlassen werden … dann fahren Sie vier Wochen nach Sotschi an das Schwarze Meer zur Erholung. Und wenn Sie zurückkommen, werden Sie an der Moskauer Oper singen!«
Waleri Tumanow war stiller als Doroguschin. Er saß oft eine Stunde stumm am Bett und hielt Nataschas Hand, streichelte sie und sah sie wie ein Vater an, dem das Leid das Herz zerreißt. Später brachte er die Partitur der Oper ›Rigoletto‹ von Verdi mit. Natascha sollte bei der Festaufführung der Moskauer Oper die Gilda singen.
»Vielleicht ist's die letzte Rolle, die wir zusammen studieren«, sagte Tumanow ahnungsvoll. Die Feindschaft mit Doroguschin war gefährlich, er wußte es.
»Sie wollen wieder weg, Waleri Iwanowitsch?« Natascha richtete sich auf. Tumanow wich ihrem Blick aus.
»Man hat Pflichten, Täubchen … Du bist nun eine große Sängerin … was braucht man da noch den Waleri Tumanow. Andere junge Talente warten auf mich … vielleicht geht es wieder nach Saratow oder Khuzhir, wer weiß es?!«
Gelogen war's. Tumanow wußte, daß es anders kommen würde. Nur wann, das ahnte er nicht.
»Ich werde Ihnen immer schreiben, Tumanow«, sagte Natascha. Sie ergriff seine Hände und drückte sie an ihre Lippen. »Ich möchte Väterchen zu Ihnen sagen –«
Es war der kurze Augenblick, in dem Tumanow sein Vaterland haßte.
Am sechsten Tag konnte es Luka mit sich vereinbaren, Natascha einige Stunden allein zu lassen. Er rasierte sich, band sich einen neuen Schlips um, zählte sein Geld und kämmte sich mehrmals die störrischen Haare.
»Wo willst du hin?« fragte Natascha.
Lukas Gesicht glänzte, als habe er Fett auf die Haut gestrichen.
»Zur Sowchose, mein Täubchen!« rief er. »Mein Pferdchen hole ich ab! Und einen Sack voll Rüben kaufe ich ihm.« Er klimperte mit den Rubelchen und steckte sie dann in die Tasche. »Gespart habe ich. Ich werde ihm einen Stall besorgen. Und wenn du später singst, werde ich wieder Gepäck fahren. Das Geld liegt nur so herum! Und meine Konzession ist auch noch da! Ich werde den Genossen im Stadthaus besuchen und ihn unterrichten, daß ›Lukas Gepäcktransport‹ wieder arbeiten wird …«
Es war ein reiner Feiertag für Luka. Er kaufte einen Sack voll Möhren und Zuckerrüben und bezahlte die dreifache Menge, denn auch Möhren und Rüben waren rationalisiert. Dann mietete er sich einen Wagen und ließ sich hinausfahren zur Sowchose ›Maxim Gorkij‹ nach Molokowo.
Der Natschalnik Washa Igorowitsch war noch immer Natschalnik von ›Maxim Gorkij‹. Dicker war er geworden, der Lümmel, aber auch mehr Sorgen hatte er. In den vergangenen zwei Jahren waren allerlei
Weitere Kostenlose Bücher