Natascha
wird hierbleiben, Nikolai Igorowitsch.«
»Und wie wollen Sie nach Tatarssk, Genosse Unterleutnant?« Natascha goß den Tee noch einmal nach. Luka soff ihn wie ein Pferd aus seinem Wassereimer.
»Ich weiß es wirklich nicht, Natascha Tschugunowa.« Fedja hob die Schultern. Er kaute an einem Wurststück und dachte angestrengt nach. Die Mappe mußte nach Smolensk. Da gab es keinen Ausweg. Oberst Werjowkin wartete auf sie, es waren Geheimpapiere, die nicht mit der Post geschickt werden durften, nur durch Kuriere. Man würde ihn auslachen, wenn er melden würde: Ich konnte nicht weiter, Genossen … der Schnee war so stark. Oha, degradieren würde man ihn. Ganz sicher. Ein Unterleutnant der Roten Armee, der vor einem Schneesturm sich verkriecht. Fedja schluckte das Wurststück hinunter und stand auf.
»Ich werde reiten! Gib mir ein Pferd, Nikolai Igorowitsch!«
»Und wann bekomme ich es wieder?«
»Mit den Ersatzteilen wird es dir zurückgebracht.«
Natascha stand am Ofen. Ihre Augen waren dunkel. »Sie wollen ganz allein reiten, Genosse Unterleutnant?«
»Ja.«
»Kennen Sie den Weg?«
»Ich habe eine Karte –«
»Eine Karte! Zum Hinternwischen ist sie da, Brüderchen, bei diesem Schneesturm!« Luka kaute mit vollem Mund. Die halbe Wurst fraß er auf, der Bär. Olga starrte ihn ungläubig an. Wie im Rachen eines Molochs verschwanden das Brot, die Wurst und der Schinken.
»Wir werden doch den Schlitten nehmen, Väterchen!« Natascha rannte an Fedja und Nikolai vorbei in den Stall. Nikolai rang die Hände.
»Ein Teufelchen, sag ich es nicht?! Reden Sie es ihr aus, Genosse Unterleutnant! Auf mich hört sie nicht. Die Stimme ihres alten Väterchens verweht an ihren Ohren. Die neue Jugend ist's, Genosse … selbständig, hart, mutig, furchtlos … aber einem Vaterherzen tut's weh … Sie müssen es ihr ausreden, Genosse …«
Natascha kam zurück. Sie hatte hohe Stiefel an, eine Hose aus gesteppter Watte und eine dicke Steppjacke aus graublauem Tuch.
Nun band sie die Haare hoch, verknotete sie auf dem Kopf und stülpte eine Pelzmütze über das schmale Haupt. Verloren sah ihr Gesichtchen aus zwischen Pelz und dicker Wattejacke … ein unförmiger Körper mit dem Köpfchen eines Vögelchens.
Luka stopfte den letzten Brotrest zwischen die Zähne und erhob sich knarrend. »Dann laß es losgehen, Genosse Unterleutnant!« rief er. »Mit solchem Kutscher –«
»Du bleibst hier, Luka!«
»Nein!« schrie Olga auf. »Lassen Sie uns nicht allein mit diesem Ungeheuer! Er frißt uns in drei Tagen leer!«
»Luka wird sich anständig benehmen.« Fedja drehte sich zu ihm um. Luka stand hinter dem Tisch. Sein breites Gesicht war traurig. Allein will er fahren, dachte er. Ich kann doch meinen Unterleutnant nicht allein lassen. »Luka«, hatte der Kommandeur gesagt, »bring ihn mir heil zurück! Ich reiße dich in Stücke, wenn ihm was passiert …«
»Genosse Unterleutnant –«, sagte er bettelnd.
»Mein letztes Wort! Du bleibst hier! Los, in den Stall … schirr die Pferde an und schaufele einen Weg!« Fedja sah auf Natascha, die ihm seinen Pelzmantel brachte und ihn hochhielt, damit er hineinfahren konnte. Da nahm er ihr ihn ab, warf ihn sich über und stapfte Luka und Nikolai nach, die den Schlitten anschirrten und vom Stall aus begannen einen schrägen Weg nach oben in den Tag zu graben.
Nach einer Stunde stand der Schlitten vor dem Haus. Der Schnee rieselte lautlos aus dem milchigen Himmel. Fast windstill war's. Im Wald heulten die Wölfe. Im weichen Schnee sah man ihre Spuren … viele, viele Tatzen, rund um das Haus. Ein Kreis des Hungers und der Mordlust.
Natascha saß auf dem Bock. Olga umwickelte sie mit drei Decken. Nikolai legte das Gewehr neben sie, auch eingehüllt in eine Decke. Dazu packte er einen Blechkasten mit Munition.
»Zweihundert Schuß!« sagte er. »Schieß sofort, wenn ein Wolf kommt. Dann habt ihr Ruhe. Sie werden erst ihren Kameraden fressen, ehe sie euch weiterverfolgen.« Er half Fedja in den Schlitten, der mit Stroh gefüllt war. Tief wühlte sich Fedja in das Stroh, und Luka deckte seinen Unterleutnant mit der dicken Felldecke zu, die Nikolai aus einem Versteck holte. Olga kam gelaufen, einen Becher glühend heißen Tee in den Händen. Sie mußten ihn austrinken, ob sie wollten oder nicht. Dann zog Natascha die Zügel an, ließ sie hochschnellen und schnalzte mit der Zunge.
»Heij!« rief sie. »Lauft, ihr Lieblinge. Fliegt wie die Wildenten … heij … heij …«
Die beiden Pferde
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