Natascha
Igorowitsch stopfte sich die Pfeife. Verwundert sah er auf sein Täubchen. Wie ihre Augen so ganz anders sind, dachte er. Wie blinde Katzen, die auf einmal in die Sonne blinzeln. Und ihr Mund ist runder, und ihr Gang ist wiegender. Teufel, Teufel, was mag es in Tatarssk gegeben haben?
»Wie war's?« fragte er und sog an seiner Pfeife. Luka war im Stall und rieb die Pferde trocken. Er hatte sich gut benommen, half im Haus, war friedlich. Nur fressen konnte er wie ein ganzer Zug Kosaken auf einmal. »Er frißt den ganzen Fünfjahresplan auf!« sagte Olga einmal, und Luka lachte, daß die Scheiben klirrten.
Natascha schälte Zwiebeln für den Borschtsch. Nikolai aß diese Fleisch- und Gemüsesuppe für sein Leben gern. Dann schmatzte er und stopfte soviel in sich hinein, daß er nur mit Mühe auf den Ofen klettern konnte.
»Wie war's?« fragte Nikolai Igorowitsch noch einmal.
»Gut, Väterchen! Am Abend schon waren wir da. Ein paar Wölfe haben wir geschossen. Aber Ilja und Natalja wollten nicht sofort zurück. Müde waren sie und steif in den Beinen. Da bin ich zwei Tage geblieben.«
»Und Fedja Iwanowitsch Astachow?«
»Ist am nächsten Tag weiter nach Trojany.« Natascha schnitt das Salzfleisch in kleine Streifen, aus dem Stall kam Olga mit einem Topf voll Kraut und Hirse. Nikolai sog heftig an seiner knisternden Pfeife.
»Was ist zwischen euch?« fragte er ahnungsvoll.
Olga setzte den Topf ab. Die Frage Nikolais stieß auch in ihre Gedanken.
»Na?« hakte sie dahinter. »Was ist?«
»Ich liebe ihn«, sagte Natascha schlicht.
»Du liebst ihn! Den Unterleutnant Fedja! Sieh an, sieh an – und man sagt es einfach so dahin, als wenn das ganz natürlich wäre –«
»Ist es nicht natürlich, Väterchen?«
»Der erste beste Mann, der daherkommt. Gott rufe ich an: So habe ich dich nicht erzogen! Wie meinen Augapfel habe ich dich gehütet, wie eine Vollblutstute, die nicht jeder struppige Panjehengst bespringen darf –«
»Ich liebe Fedja!«
»Und das ist alles?!«
»Ist es nicht genug, Väterchen?«
»Wo ist's geschehen?«
»Im Schlitten schon, Väterchen –«
Olga Tschugunowa saß mit gefalteten Händen neben dem Herd und weinte plötzlich.
»Mein einziges Kind!« heulte sie. »Mein einziges. Vergißt sich im Schlitten. Bist du eine heiße Füchsin, he? Mußt dich herumwälzen, kaum daß du erwachsen bist?! Schlagen sollte man dich … grün und gelb … ja das sollte man!«
»Tu es, Mütterchen.« Natascha stellte sich vor Olga hin. Den Kopf warf sie zurück in den Nacken, schloß die Augen und bot ihren Körper dar. »Um alles in der Welt – schlag mich doch! Und wenn ihr mich zerreißt … ich liebe ihn …«
Natascha wartete auf die Schläge. Aber Olga Tschugunowa schob sie zur Seite, ging zum Topf und rührte in dem Borschtsch herum.
»Soll er anbrennen?« schimpfte sie. »Oder ist dein Kopf auf einmal leer bis auf Hurerei …«
»Fedja wird auf dem Wege von Smolensk zurück nach Schamowo hier vorbeikommen«, sagte Natascha. Sie wandte sich ab, nahm ein Messer und schnitt die fauligen Stellen aus dem eingelagerten Kapustakopf.
»Abwarten!« knurrte Olga.
»Fedja kommt bestimmt. Ich weiß es, Mütterchen.«
»Was man nicht alles weiß!« Olga streute Salz in die Suppe, die gehackten Zwiebeln und lange Stangen Lauch. »Und wenn er nicht kommt?!«
»Daran denk ich nicht –«
»Und wenn ein Kind kommt … und dieser Fedja ist weg … in Moskau oder in Alma-Ata oder in Stalingrad oder sonstwo … und da leben sie alle, die Dunja und Marja, die Axinja und Jelisaweta … und er ist Leutnant …«
»Dann gehe ich nach Moskau! Nichts, nichts will ich mehr sehen …«, schrie Natascha.
Sie warf den Holzlöffel auf den Boden, rannte in den Stall, warf sich neben die Pferde in das Stroh und schluchzte wild.
Behutsam ließ sich Luka neben ihr auf die Knie nieder. Seine Riesentatze streichelte ihr Haar, und sie merkte es gar nicht, so zärtlich war es in Lukas Herzen.
»Unser kleiner Unterleutnant«, sagte er sanft. »Sieh an, sieh an … wie ein richtiger Mann hat er sich benommen …«
Am sechsten Tage wurde Luka abgeholt. Eine Kolonne mit Ersatzteilen erschien in Krassnoje Mowona, schleppte den Geländewagen zur Datscha Tschugunows, wechselte die gebrochene Achse aus, und schließlich setzte sich Luka hinter das Steuer und fuhr knatternd hinaus in die Steppe. Zurück nach Schamowo. Zu Kommandant und Darja.
Sechs Nächte war sie ohne mich, dachte Luka in seiner Einfalt. Muß es ihr
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