Natascha
heran … nun rannte er nur noch zwei Meter neben dem Schlitten her, sein Atem stieß weiße Wolken in die kalte Luft.
»Anhalten!« brüllte Fedja Iwanowitsch. Er stemmte die Beine in das Stroh, stampfte es zu einem kleinen Ballen unter seinen Füßen und suchte Halt. Sein Gewehr ergriff er, lud es neu und schoß, als er den Kopf vor seinem Gewehrlauf tanzen sah. Aber der Wolf war klug … er senkte einfach den Kopf, als Fedja den Finger krümmte. Der Schuß ging über ihn hinweg. Wie im Triumph heulte der Wolf auf, langgezogen, schaurig.
»Anhalten!« schrie Fedja noch einmal. Er nahm das Gewehr beim heißen Lauf und stieß den Kolben in Nataschas Rücken. Immer wieder stieß er zu. Es tat ihm weher als Natascha. Ich mißhandle sie, schrie es in ihm. Und ich wollte sie doch küssen. Nun schlage ich sie … und der Wolf läuft neben mir her wie ein treuer Hund –
Plötzlich umklammerte Natascha die Zügel. Ihr Kopf fuhr herum. Fedja schauderte zusammen. Vereiste Tränen hingen unter ihren Augen, kleine Eiszapfen, die an die Wangen stießen.
»Schieß, Fedja – «, schrie sie.
Dann zog sie die Zügel an, sie warf sich zurück, riß die keuchenden Pferdeköpfe herauf, stemmte die Beine gegen das Trittholz des Bockes und schloß dabei die Augen.
Fedja Iwanowitsch warf sich zur Seite. Das Gewehr hob er hoch, und als der Schlitten stand, feuerte er zwischen die leuchtenden Augen des grauen Wolfes.
Der Schädel des Tieres zuckte zurück. Der Einschlag riß ihn in den Nacken. Aber im Sterben noch warfen die Beine den Körper hoch, er schnellte vor, auf Fedja zu, und fiel leblos zu seinen Füßen in das zerwühlte Stroh.
Natascha hatte die Zügel fallen lassen. Mit der Peitsche hieb sie auf den toten Körper, sinnlos, in verzückter Wut. Die Pferde standen zitternd im Schnee und schnaubten. Mit dem Kolben des Gewehres fing Fedja den letzten Schlag auf. Er sprang aus dem Schlitten und zog Natascha vom Bock herab.
»Du –«, sagte er leise. Die hohe Fellmütze nahm er ihr vom Kopf. Mit beiden Händen streichelte er ihr schmales Gesicht, brach die vereisten Tränen vorsichtig ab und wärmte mit seinen Lippen ihre geschlossenen Lider.
»Du –«, sagte er wieder. »Was auf der Welt kann es geben, das ich mehr liebe, als dich …«
Sie wußte darauf keine Antwort. Warum auch sollte sie etwas sagen. Sie schmiegte sich an Fedja, und er knöpfte seinen Pelzmantel auf, schlug ihn um Natascha und drückte sie fest an seinen warmen Körper.
»O Fedja …«, sagte sie zitternd, als er sie lange geküßt hatte. Sie hatten sich aneinandergeklammert, waren fast einer in den anderen hineingekrochen. Er hatte seine rechte Hand auf ihre Brust gelegt und unter der Wattejacke ihre runde, feste Form gefühlt. Warum muß es jetzt schneien, hatte Fedja in wilder Verzweiflung gedacht, warum ist kein Sommer … »Ich liebe dich, Natascha …«, sagte er und koste mit seinen Lippen über ihr Gesicht. Die Haare löste er ihr, ließ sie lang herabfallen und wühlte seinen Kopf in die schwarze Fülle. Wie Kamille rochen sie, das machte ihn wahnsinnig, er riß ihre Wattejacke auf und drückte sein Gesicht an ihre Brust.
»Verrückt bin ich!« stammelte er. »Sag etwas … sag doch etwas … Halt mich zurück … Ich zerreiße dich, wenn du nichts sagst. Bei Gott, ich tu's –«
»O Fedja.« Sie legte ihre Hände gefaltet über seinen Kopf und hielt ihn fest. »Was soll das werden? Ich liebe dich … gewiß … ich kann nicht sagen, wie ich dich liebe … wie die Blume den Tau oder wie der Vogel den Himmel … o Fedja – Fedja – Fedja –«
Er hatte sie umfaßt, hob sie hoch und trug sie, an seinen Körper gepreßt, zum Schlitten. Den Kadaver des Wolfes schleuderte er weit weg in den Schnee, riß die Felldecke zurück, umfaßte Natascha wieder und legte sie in das warme Stroh.
»Fedja!« schrie sie. »Wahnsinnig sind wir … Fedja – es wird uns reuen … wir sehen uns nie wieder … ich weiß es … Sei milde, Fedja, bitte, bitte, bitte … Warum tust du das … ich werde dich nie vergessen können … nie … Fedja –«
Während sie im Stroh lagen, ruckten die Pferde an.
Zügellos, mit hängenden Köpfen, stapften sie langsam über die weiße Steppe nach Norden.
Und stärker schneite es aus dem milchigen Himmel.
Vier Tage später kam Natascha aus Tatarssk zurück.
Sie schirrte die Pferde ab, zog Wattejacke und Wattehose aus, schlüpfte in den Wollrock und die Wollbluse und nahm ihren Platz wieder am Herd ein. Nikolai
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