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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Mähne und senkte den Kopf dicht an den Hals des Pferdes. Schreiend galoppierte Natalja aus dem brennenden Stall, stieg draußen hoch, warf Natascha in den Staub und rannte dann weg, in den Wald hinein.
    Über das Land brummten hoch oben einige in der Sonne silbern glitzernde Vögel nach Westen. Auf dem Rücken liegend starrte Natascha zu ihnen empor. Dann hob sie die verbrannten Hände, ballte sie zu Fäusten und schüttelte sie in ohnmächtiger Wut dem Himmel entgegen.
    Anatoli kroch in den Trümmern herum und suchte. Er schob verbrannte Balken zur Seite, warf zerbeulte Pfannen auf den Vorplatz, riß die Fetzen des zersprengten Ofens weg und wühlte sich in die Trümmer hinein.
    Mit hängenden Armen stand Natascha vor dem Aschenhaufen. Sie suchte nicht mehr. Um das Haus herum waren noch mehrere Trichter. An ihrer Größe sah sie, welche Riesenfaust das Haus getroffen hatte. Leer und tränenlos waren ihre Augen, als Anatoli plötzlich stehenblieb, den Kopf senkte und über die Brust ein Kreuz schlug.
    »Hier sind sie, Täubchen …«, sagte er leise. »Hand in Hand liegen sie … man kann sie noch erkennen …«
    Natascha nickte. Langsam ging sie auf die Stelle zu. Neben dem zerborstenen Ofen, unter einem Gewirr verkohlter Balken, sah sie zwei schwärzliche Klumpen. Nur zwei Hände waren unversehrt, bleich und wie lebend waren sie ineinander verkrampft … die große, schwere Hand Nikolai Igorowitschs und die alte, verrunzelte Hand Olga Tschugunowas. Sie hatten sich wie vor dem Altar des Popen bei den Händen genommen, als die Bomben in den Wald und auf das Haus fielen. Sie waren nicht geflohen, der Tod war zu schnell gekommen. Da hatten sie gemeinsam gebetet und waren aus der Welt gefegt worden.
    Am Abend hatten Anatoli und Natascha das Grab geschaufelt. Sie legten die beiden schwarzen Klumpen mit den unversehrten Händen vorsichtig in die Erde, deckten eine alte Pferdedecke über sie und schaufelten dann die Grube zu.
    »Jetzt muß ich gehen«, sagte Anatoli stockend. »Wer weiß, wie's bei mir zu Hause ist?! Jetzt ist der Krieg überall in Rußland! Nichts schont er! Leb wohl, Natascha …«
    Sie nickte und blieb am Grabe sitzen. Anatoli trieb mit Fußtritten seine Mähren hoch, brachte den Wagen auf die Räder und zottelte mit ihnen in die Nacht hinein. Ängstlich sah er zur Seite. Ganz fern war der Himmel rot, und es zuckte bis zu den Sternen hinauf. Die Deutschen, dachte er. Wie ein heißer Wind fegen sie übers Land. Man kann nicht mehr fliehen. Und er bekreuzigte sich und murmelte ein Gebet.
    Im Morgengrauen raste eine Artilleriekolonne über die Straße nach Tatarssk. Nur zwei Geschütze waren es, die anderen Pferde waren ledig. Auf ihren Rücken klebten die Kanoniere, blutend, mit hohlen, entsetzten Augen.
    »Weg«, schrien sie Natascha zu, die um das Grab herum eine Rinne grub und Blumen pflanzte. »Die Deutschen sind hinter uns! Panzer und Motorräder! Eine Lücke ist in der Front. Sie sickern durch wie Wasser durch ein Loch!«
    Natascha grub die Blumen ein. Am Waldrand stand Natalja. Sie war zurückgekommen. Unter dem Bauch war das Fell mit dicken Brandblasen bedeckt. Zitternd stand sie da, an den zersplitterten Stämmen, und sah hinüber zu Natascha.
    Das Gedröhne von Motoren und peitschende Schüsse kamen näher. Nach Krassnoje Mowona zu blitzte es auf. Leuchtkugeln hingen in der fahlen Morgendämmerung, dann krachte es laut in dichten Abständen.
    Natascha warf die Schaufel weg und kniete am Grab nieder. Plötzlich warf sie sich über die frische Erde und wühlte ihr Gesicht hinein. Ihr Mund füllte sich mit Lehm und Staub, und so lag sie da, eingewühlt in ihren Schmerz und fast erstickend.
    Erst als das Krachen näher kam und unter ihr die Erde zu beben begann, stand sie auf, spuckte die Erde aus, steckte ihren Kopf in die Tränke und schüttelte sich dann wie ein Hund.
    »Komm, Natalja …«, sagte sie schwach. »Komm, mein Liebling … komm her …« Und das Pferd kam herbei.
    Mühsam stieg Natascha auf, klammerte sich an die versengte Mähne und drückte die Hacken leicht an die zitternden Bauchseiten.
    »Lauf, mein Süßes«, sagte sie leise. »Lauf … lauf … wohin, das ist gleich … nur lauf davon … dort, wo die Sonne aufgeht, dort mußt du hin …«
    Und jetzt weinte Natascha, und die Tränen flogen von ihren Augen weg und blieben zurück in Krassnoje Mowona …
    Sie ritt zwei Tage und zwei Nächte und merkte es nicht, wenn Natalja anhielt und am Wegrand das Gras mit rauher Zunge

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