Natascha
dachte er schaudernd. Neben ihm sitzt sie, wie eine Verliebte, und es sollte mich nicht wundern, wenn sie ihn küssen würde, den deutschen Offizier!
»Ein Hund ist er!« schrie Luka.
»Ich habe ja gesagt, du wirst mich nicht verstehen.«
»Unmöglich ist's!« Luka suchte in seinen Taschen. Er holte einige Verbände hervor und ein Röhrchen mit Tabletten.
»Gib her –«, sagte Natascha.
»Was soll aus ihm werden?« Luka warf die Verbände zu Natascha. »Wenn er nicht stirbt –«
»Er darf nicht sterben! Hörst du! Er muß leben!«
»Ärger wird's geben bei den anderen Genossen!«
»Sie werden es nie erfahren!«
»Du willst ihn hier verborgen halten?«
»Warum nicht? Wir werden ihm eine Höhle hier im Wald bauen. Du und ich … Und ich werde bei ihm leben –«
»Sie ist verrückt! Wirklich, sie ist verrückt!« Luka raufte sich die Haare und den Bart. Er war ehrlich verzweifelt. »Heimlich erschlagen sollte man ihn … dann wäre alles gut!« sagte er dumpf.
»Ich bringe jeden um, der ihn anfaßt!« Natascha riß den durchbluteten Verband von Gebhardts Brust. Der plötzliche Schmerz jagte ihn aus dem Schlaf auf. Er schlug um sich, richtete sich auf, sah in das wilde Gesicht Lukas und zog die Beine an, als wolle er ihn wegtreten. In seine Augen sprang wieder die nackte Todesangst.
Erst dann sah er Natascha neben sich. Die Erinnerung kehrte zurück, und er ließ sich zurücksinken und tastete nach ihren Händen, die über seine Brustwunde strichen.
»Wer … wer ist das?« fragte er keuchend. Der Schmerz zerpflückte seine Stimme und machte seinen Atem tonlos.
»Luka ist's. Ein Freund –«, antwortete Natascha. Sie legte einen Mullpacken auf die wieder blutende Wunde. Dann wollte sie Gebhardt aufrichten, um den Verband um den Oberkörper zu wickeln. Aber es gelang ihr nicht. Immer wieder fiel der Körper in ihre Arme und auf den zusammengerollten Uniformrock zurück. Verzweifelt stemmte sich Natascha gegen den Rücken des Leutnants.
»Halt ihn fest, Luka!« schrie sie.
»Es wäre ein Verrat an Mütterchen Rußland!« sagte Luka dumpf.
»Er ist ein Mensch wie du und ich und Fedja …«
»Nein! Er ist ein Deutscher!«
Zum erstenmal tat Luka nicht, was Natascha von ihm wollte. Es war so ungewohnt, daß selbst Luka voll Erstaunen über sich war. Er schüttelte den Kopf, setzte sich und lehnte sich gegen die Zweige des Dickichts.
»Du hältst ihn fest!« schrie Natascha noch einmal. Ihre Augen brannten. Luka schüttelte den Kopf.
»Nein!«
Natascha ließ den Körper Gebhardts zurückfallen auf die Erde. Sie ergriff ihre Maschinenpistole, entsicherte sie und hielt den Lauf auf Lukas breite Brust. Verwundert hob Luka die Hand, griff nach dem Lauf, wollte ihn zur Seite schieben, aber Natascha hob die Waffe, schlug ihm auf die Finger und zielte wieder auf seine Brust.
»Richte ihn auf und halt ihn fest!« sagte sie kalt. »Wenn du's nicht tust, erschieße ich dich und stütz ihn auf mit deinem Leichnam!«
»Mein Täubchen … was tust du …?« stammelte Luka. Er zog die Beine an, sein Mund klappte auf und wurde zu einer großen Höhle, aus dem die Worte wie dicke Tropfen herausquollen. »Du kannst doch deinen Luka nicht erschießen … wegen eines Deutschen … Natascha! Mein armes Täubchen … wie verrückt bist du doch … Komm her, sei ein wenig vernünftig … denk an deinen Fedja … Wie lieb hat er dich gehabt, und du verrätst ihn. Mit einem Deutschen! Mit seinem Mörder! Nataschka … bei allen Heiligen von Kasan …«
»Halt ihn fest!«
»Was machst du mit mir … was machst du bloß …?« Luka kroch hinter Klaus Gebhardt und stemmte den Körper hoch. Mit ausgestreckten Armen hielt er ihn fest, und Natascha wickelte den Verband um die Brust und gab ihm drei Tabletten, aufgelöst in etwas Wasser, zu trinken. Dann legte Luka den deutschen Offizier wieder zurück auf die Erde und kroch in das Dickicht zurück.
»Was soll ich den Genossen sagen?« stammelte Luka.
»Sage ihnen, daß es keinen Krieg mehr gibt.«
»Keinen Krieg?«
»Nicht mehr für Natascha Astachowa!«
»Sie werden dich töten! Als Feind des Vaterlandes wirst du –«
Natascha winkte ab. Gebhardt hatte die Augen geschlossen und schlief wieder ein. »Psst. Er will schlafen!« sagte sie leise. »Geh zurück und sage, daß du mich nicht gefunden hast. Und jeden zweiten Tag bringst du mir zu essen und Verbände, und Wodka kannst du bringen und Tee …«
»Allein soll ich dich lassen, Täubchen …?« In Luka drehte sich
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