Nathanael
in einen Fahrstuhl, der sie zwei weitere Etagen aufwärts direkt unters Dach beförderte. Nachdem sie ausgestiegen waren, ging es an einem Dutzend Türen vorbei, hinter denen sich die Zimmer der Ordensfrauen befanden, wie Tessa den Schildern entnehmen konnte.
«Was ist denn los?», flüsterte Ernest, während die Nonne mit einigem Abstand vor ihnen herging.
«Ich kann es dir nicht erklären, aber hier bin ich nicht in Sicherheit, glaub mir.»
Sie erzählte ihm von dem Angsttraum vorhin im Auto.
Ernest runzelte die Stirn. «Das ist doch nur ein Traum gewesen. Damals nach dem Überfall hast du auch unter diesen Alpträumen gelitten», beschwichtigte er sie. «Ich würde dich doch nicht hierher bringen, wenn ich Schwester Bertha nicht vertrauen könnte und wüsste, dass du hier sicher aufgehoben bist.»
«Wahrscheinlich hast du recht», gab sie nach. Sie hatte damals tatsächlich unter ähnlichen Alpträumen und Panikattacken gelitten, weshalb sie sich auch einer psychiatrischen Behandlung unterzogen hatte. Das ungute Gefühl blieb jedoch.
«Wegen der Ferien sind wir nur zu dritt. Keiner wird Sie stören», unterbrach Bertha ihr Zwiegespräch und öffnete die letzte Tür, dessen Namensschild leer war.
Das Zimmer war gemütlich mit einem Bett, einem Schrank und einer Polstergarnitur eingerichtet. Tessa sank erschöpft in einen der ausladenden Sessel.
Ernest begleitete Schwester Bertha wieder nach unten, um noch einiges mit ihr zu besprechen. Tessa war das ganz recht, sie sehnte sich nach Ruhe. Leider wollte sich die nicht einstellen, denn sie quälte sich mit Selbstvorwürfen, weil sie heute auch Ernests Leben in Gefahr gebracht hatte.
Mit einem Seufzer stützte sie den Kopf in die Hände. Eine Weile saß sie einfach da und starrte auf den Boden. Als sich Schritte näherten, sah sie erwartungsvoll auf.
Die Tür öffnete sich und anstelle des erwarteten Stiefbruders erschien Schwester Bertha mit einem Tablett in den Händen, auf dem sich eine Tasse dampfenden Tees befand. Der Blick aus ihren schwarzen Augen war voller Mitgefühl.
«Ihr Bruder ist schon gefahren. Er bekam eben einen Anruf vom Hospiz. Mrs Bradshaw ist gestorben.»
«Oh.» Obwohl sie die alte Frau nicht gekannt hatte, fühlte Tessa sich von dieser Nachricht betroffen. Gleichzeitig bedauerte sie, dass Ernest gegangen war. Seine Nähe hätte sie beruhigt.
«Ich habe Ihnen Tee gekocht. Zur Entspannung. Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen auch ein leichtes Schlafmittel bringen.»
Bertha stellte das Tablett auf dem Beistelltisch ab.
«Hätten Sie vielleicht auch eine Kopfschmerztablette?»
«Ja, natürlich, bin gleich wieder zurück.» Mit einem Lächeln eilte Bertha aus dem Raum.
Der Tee duftete verführerisch nach Vanille. Tessa sog das Aroma auf, bevor sie daran nippte. Das heiße Getränk entspannte sie wider Erwarten tatsächlich. Der kurze Traum vorhin hatte sie geängstigt und überreagieren lassen. Kein Wunder nach der Sache im Parkhaus. Über den Tassenrand hinweg sah sie zu Schwester Bertha, die mit einem Glas Wasser in der Hand eintrat.
«So, hier die Tablette.»
«Schwester Bertha, danke für alles.» Tessa griff nach dem Arm der Ordensschwester und drückte ihn.
«Schon gut. Jetzt nehmen Sie schnell die Tablette und schlafen sich tüchtig aus, damit Sie schnell wieder zu Kräften kommen. Ich werde Michael eine Nachricht zukommen lassen, dass wir einen Gast haben.»
Bertha lächelte und entblößte dabei ihre riesigen Zähne, die in ihrem schwarzen Gesicht leuchteten. Tessa drehte die Tablette in der Hand, bevor sie sie mit dem kalten Wasser schluckte. Auf der Tablette erkannte sie das Logo von Greenberg Pharma, ein Blatt mit den Initialen GP.
Sie hatte noch nie eine Tablette aus Stevens Firma eingenommen und war gespannt auf die viel gepriesene Wirkung. Schwester Bertha beobachtete sie dabei, als wollte sie sich vergewissern, dass sie sie auch wirklich nahm. Tessa fühlte sich unbehaglich unter ihrem Blick.
«Michael? Ist das der Leiter dieser Einrichtung?», fragte sie.
Bertha lachte leise. «Du lieber Himmel, nein! Ich meine den Himmlischen.»
«Aber nicht den Engel?»
«Doch. Haben Sie seine Statue draußen gesehen? Respekt einflößend, nicht wahr?»
«Kann man wohl sagen.» Tessa verschluckte sich und begann zu husten. Nicht nur Respekt einflößend. In ihrem Traum hatte sie sich sogar vor ihm gefürchtet. Sie konnte das Gerede über Engel langsam nicht mehr hören.
«Treffen Sie ihn jetzt gleich?» Tessa fehlte dafür
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