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Nathanael

Titel: Nathanael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Landers
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irgendeinem Hollywoodfilm. Unangenehmen Fragen wäre sie heute nicht mehr gewachsen. Die Polizisten würden ihre Erklärungen niemals verstehen und eine Nacht hinter Gittern oder in der Psychiatrie wäre ihnen gewiss.
    Doch ihre Sorge war unbegründet, unbehelligt erreichten sie Brooklyn. Ernest steuerte den Wagen in einen Außenbezirk, zu einem Viertel, das abseits der Hauptstraßen lag. Nach einer Weile erreichten sie einen imposanten Gebäudekomplex, hinter dessen viktorianischer Fassade sich, wie die Schilder rund herum verrieten, eine christliche Mädchenschule verbarg.
    Als Hazels Freundin kannte sie einen Teil Brooklyns, aber dieses Viertel war ihr fremd. Ernest umrundete den Block und hielt vor einem schmiedeeisernen Tor mit kunstvollen Ornamenten. Er lehnte sich aus dem Fenster, zückte eine Karte und hielt sie vor ein Lesegerät. Das Tor schwang auf und schloss sich nach der Durchfahrt wieder.
    Er parkte den Wagen vor einem Haus, das laut der beleuchteten Gedenktafel, im 19. Jahrhundert das Wohnhaus einer einflussreichen Familie gewesen war. Heute war es das Zuhause der Missionary Sisters , einem Nonnenorden. Schwester Bertha, die Äbtissin, unterrichtete nebenan in der Schule Sacred Hearts und arbeitete ehrenamtlich in mehreren kirchlichen Einrichtungen mit. Tessa kannte sie nur aus Ernests Erzählungen.
    Im Geist sah Tessa Mädchen in Schuluniformen mit geflochtenen Zöpfen, die unter den strengen Blicken der Ordensfrauen diszipliniert die Treppe hinabschritten. Eine Schule für höhere Töchter, die sie selbst nie hätte besuchen können. Alles wirkte normal und der Gedanke an Engel und andere Höllenkreaturen abwegig.
    Ernest stieg aus dem Wagen und nahm die wenigen Stufen zur Eingangstür, neben der sich die Klingel befand.
    Es dauerte eine Weile, bis das Licht über der Haustür eingeschaltet wurde. Als die Tür sich öffnete, erkannte Tessa im beleuchteten Eingang eine rundliche Frau in Ordenstracht. Ernest redete so leise mit ihr, dass Tessa nicht verstehen konnte, was sie sagten.
    Neugierig sah sie aus dem Fenster. Neben dem Haus rahmten in Kegelform geschnittene Buchsbäume eine Rasenfläche ein, in dessen Mitte sich eine Statue befand. Der imposante Engel aus Bronze, der auf einem Sockel stand, zog sie in ihren Bann. Seine Rechte umklammerte ein Schwert mit gewellter Klinge.
    Der Bildhauer hatte der Skulptur mit dem bezwingenden Blick und den schlagenden Flügeln eine außergewöhnliche Lebendigkeit verliehen. Seltsam, irgendwie erinnerte sie der Engel an Nathanael, dessen Augen den gleichen stolzen Ausdruck besaßen. Nur mit Mühe konnte sie sich von dem Anblick losreißen.
    Ernest redete noch immer mit Schwester Bertha.
    Tessa gähnte. Sie war todmüde, schloss die Augen und nickte sofort ein.
    Sie träumte davon, den Rasen zu betreten, um den Engel aus der Nähe zu bewundern. Plötzlich wurde er lebendig. Fast hätte sie geglaubt, es wäre Nathanael, wenn nicht dieser bittere Zug um seinen Mund und die blonden Haare gewesen wären. Er stieg vom Sockel herab und näherte sich mit finsterem Blick. Das goldene Schwert blitzte in seiner Hand auf, als er mit der Schwertspitze die Buchsbäume berührte und die Pflanzen Feuer fingen.
    Tessa wollte davonlaufen, aber das Feuer breitete sich rasend schnell aus und schloss sie ein. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Mit jedem Schritt veränderte sich der Engel. Die weißen Flügel wurden schwarz und sein Gesicht mutierte zu einer Fratze. Er richtete das Schwert auf sie. Blitze schossen hervor und drangen in ihren Körper. Sie spürte einen stechenden Schmerz in der Brust und schreckte aus dem Traum hoch. Ihr Herz pochte wie verrückt in ihrer Brust.
    Alles wirkte mit einem Mal bedrückend düster. Hier wollte sie nicht länger verweilen. Sie quälte sich aus dem Wagen, um ihrem Stiefbruder mitzuteilen, dass sie auf keinen Fall bleiben wollte.
    Ernest blickte zu ihr hinüber. Als sie taumelte, eilte er mit besorgter Miene auf sie zu und stützte sie am Arm.
    «Warum bist du denn nicht im Wagen geblieben?»
    «Ich hab so ein ungutes Gefühl. Lass uns bitte woanders hinfahren», flüsterte sie ihm zu.
    Ehe er antworten konnte, hakte Schwester Bertha sie unter. «Kommen Sie, hier sind Sie sicher. Ernest hat mir erzählt, was geschehen ist. Oben wartet ein gemütliches Bett auf Sie.»
    Tessa wollte protestieren, aber ihr wurde schwindlig.
    Die beiden führten sie die Treppe zum ersten Stock hoch, an die sich ein langer Korridor anschloss. Dort stiegen sie

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