Nathanael
sich hier eingefunden hatte: Nephilim, Blutengel und ein Sterblicher. Wie jeden Abend war die Hell’s Bar gerammelt voll.
Aus der Jukebox dröhnte Countrymusik. Die meisten von ihnen benötigten durch das Engelsblut nur wenig Schlaf. Aber heute hätte er den Schlaf begrüßt, der ihn eine Weile seine Probleme vergessen ließ.
Er schlenderte zu Daniel, der allein saß. Ein Raunen ging durch die Menge, was er mit einem zufriedenen Lächeln quittierte. Sicherlich hatte sich schon herumgesprochen, dass er eine Seele vor dem Gefallenen gerettet hatte. Im Vorbeigehen bestellte er bei Cynthia ein Bier und einen doppelten Wodka.
Er ließ sich auf einem freien Stuhl nieder. Daniel sah ihn aus stahlgrauen Augen forschend an, als Cynthia die beiden bestellten Flaschen und Gläser vor Nathanael stellte.
«Entweder musst du dir wegen der Rothaarigen oben Mut antrinken oder du dröhnst dich zu, um sie zu vergessen.»
Nathanael drehte ganz langsam den Kopf. Daniel war ein Typ, der immer schnell zur Sache kam. Um einer Antwort zu entgehen, kippte Nathanael das Bier hinunter und leerte gleich das Glas Wodka hinterher. Als könnte er damit seine Probleme hinunterspülen.
Der Alkohol brannte in seiner Kehle wie Feuer, aber die Wärme, die danach seinen Körper durchflutete, war angenehm und entspannend. Eine Weile saßen sie schweigend beieinander und starrten in ihre Biergläser, als gäbe es nichts Wichtigeres.
Nathanael lauschte Dolly Partons Ballade um eine verlorene Liebe, die aus der Jukebox erklang. Normalerweise hörte er nicht auf Texte von irgendwelchen Liebesschnulzen, aber heute drangen die Worte tiefer in sein Bewusstsein als sonst. Wegen Tessa, die oben in seinem Bett schlief. Verdammt! Mit einem Seufzen stützte er den Kopf in die Hände.
«Ich hätte nicht gedacht, dass es dich noch mal erwischt.»
Nathanael sah auf.
«Ach, bist du jetzt Psychologe?»
Daniel schüttelte lächelnd den Kopf. «Ist es die Rothaarige? Wer ist sie? Ich habe sie hier noch nie gesehen.»
Nathanael wollte eigentlich nicht über Tessa reden, aber Daniel verstand es immer, die Antworten aus ihm herauszukitzeln.
«Sie war auch noch nie hier.» Tessa passte nicht in diese dunkle Gesellschaft gescheiterter und zwielichtiger Existenzen. Anders als er , dachte er voller Bitterkeit. Trotzdem wollte er sie wie noch nie etwas in seinem Leben. So wie sie ihn vorhin angesehen hatte mit diesem Verlangen im Blick … Sie war die Frau, nach der er sich sehnte, die in ihm Begehren weckte.
Nathanael bedeutete Cynthia mit einer ungeduldigen Geste, ihm nachzuschenken, bevor er Daniel in wenigen Sätzen erklärte, wie und wo er Tessa begegnet und was ihr durch den Dämon und den Gefallenen widerfahren war.
Daniel hörte ihm aufmerksam zu, ohne zu unterbrechen, während er sein halb volles Bierglas in den Händen drehte.
Es blitzte amüsiert in Daniels Augen auf. «Sie ist eine andere Liga als deine früheren Häschen. Sie reizt dich mehr, als du zugeben willst. Hast du dich etwa verliebt?»
Nathanael schnaubte unwillig und stürzte den Inhalt des nächsten Glases hinunter, das Cynthia ihm kurz zuvor serviert hatte.
«Vollkommener Blödsinn. Ja, ich gebe zu, dass ich sie begehre. Sie ist eine Klassefrau, aber seit Gina verliebe ich mich nicht mehr. Meine Liebe hat Gina das Leben gekostet», stieß er heiser hervor und die vertraut gewordene Verzweiflung, die er bis jetzt erfolgreich niedergerungen hatte, stieg erneut an die Oberfläche. Er beugte sich weit über den Tisch zu seinem Gesprächspartner hinüber.
«Ich könnte das nicht noch mal durchmachen. Ich werde mich nie mehr verlieben. Kapiert?», raunte er und stieß mit der Hand das leere Glas um, das nun über den Tisch rollte, über den Rand kippte und auf dem Boden zerschlug.
Alle Augenpaare richteten sich augenblicklich auf ihn. Nathanael verzog spöttisch die Mundwinkel. Eine morbide Neugier glitzerte in den Augen der Anwesenden. Sie lechzten nach einem Kampf. Aber da konnten sie lange warten.
«Nichts kann die Vergangenheit ungeschehen machen. Du musst nach vorne blicken. Nur da kannst du noch etwas ändern.» Daniel klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.
Das wusste er auch, aber es half ihm nicht weiter. Durch Tessa lebte die Vergangenheit, die er vergessen wollte, immer wieder auf.
«Du musst auch nicht mit dieser verfluchten Schuld leben», presste Nathanael hervor.
Daniel zuckte nur mit den Schultern. «Schon gut. Ich weiß.»
Eine Weile saßen sie da und hingen
Weitere Kostenlose Bücher