Nathanael
er wieder wie bei Gina versagte? Nein, das durfte um keinen Preis geschehen.
Immer wenn er Tessa betrachtete, flackerte die Begierde auf, mit jedem Mal stärker als vorher. Dabei hatte er fest geglaubt, er würde Abstand zu ihr gewinnen, nachdem er seine Lust gestillt hatte. Verdammt, wie hatte er sich nur dieser Illusion hingeben können?
Der Sex mit ihr war überwältigend gewesen und stellte alles in den Schatten. Er war stolz auf sich, dass es ihm im letzten Augenblick gelungen war, ihr nicht seine Liebe zu gestehen. Doch es war ihm schwergefallen.
Wie sollte er dem Auftrag gerecht werden, wenn sie in seiner Nähe war und er an nichts anderes mehr als an sie denken konnte? Der Auftrag war zum Scheitern verurteilt.
Sie würden wieder miteinander schlafen und noch einmal. Je fester er sie an sich band, desto mehr geriet sie in Gefahr. Seine Gefühle für Tessa würden auch Luzifer nicht lange verborgen bleiben, der nichts unversucht ließe, sie in seine Gewalt zu bringen. Tessa wäre seiner Folter ausgesetzt, die einzig dem Zweck diente, ihn, Nathanael, zu zermürben, damit er einen Fehler beging, der die anderen Blutengel und das Gleichgewicht der Mächte in Gefahr brachte.
Er hörte bereits die Vorwürfe Michaels, dass er lieber seinen Vergnügungen nachgegangen sei, als sich um die Erfüllung seiner Pflicht zu kümmern. Nathanael stöhnte innerlich auf.
Er drehte sich zu Tessa um, die ihm jetzt den Rücken zugewandt hatte.
«Tessa, ich ...», begann er und brach ab. Es wäre besser, wenn sie in ihm den gefühllosen Kerl sah. Sie musste glauben, dass es ihm nicht ernst genug war für eine feste Beziehung. Aber besaß sie nicht ein Recht auf die Wahrheit?
Sie drehte sich erwartungsvoll zu ihm um. «Ja?»
Er schwieg.
«Du bereust es mit deiner Auftraggeberin geschlafen zu haben , stimmt’s?»
Er wollte ihr alles erklären, doch ehe er etwas sagen konnte, klopfte es an der Tür.
«Nathanael?», meldete sich Cynthia. Ruckartig setzte er sich auf.
«Wir reden später», wandte er sich an Tessa.
Wollte Cynthia ihn wegen Tessa sprechen? Sicher wusste sie längst von ihrer Anwesenheit. Also musste es etwas viel Wichtigeres sein, weshalb sie ihn störte. Er hatte ein seltsames Gefühl.
«Was gibt’s?»
«Es gab wieder einen Selbstmord. Seth hat neben dem Toten Dämonenstaub gefunden. Er wartet unten auf dich.»
An sich bedeutete das Vorhandensein von Dämonenstaub nur, dass eine dieser Höllenkreaturen vor Ort gewesen war. Wenn Seth, der das Engelsghetto normalerweise mied, ihn aufsuchte, musste es noch einen anderen Grund geben.
Nathanael sprang auf und sammelte seine am Boden verstreute Kleidung ein. Tessa drehte sich mit weit aufgerissenen Augen zu ihm um. Er konnte ihre Sorge wie feine Nadelstiche auf der Haut spüren.
«Schon wieder ein Selbstmord? Oh, mein Gott. Und wo?», fragte sie heiser.
Er zuckte mit den Schultern. «Keine Ahnung. Ich werde hinuntergehen und mir anhören, was der Nephilim zu berichten hat. Vielleicht liefert uns das auch einen Anhaltspunkt zum Tod deiner Freundin. Also, was ist, kommst du mit?»
Tessa war bereits aufgestanden und suchte ihre Kleidung zusammen.
Mit einem Anflug von Wehmut betrachtete Nathanael ihren nackten Körper, der ab jetzt für ihn tabu sein musste. Sie hatte seinen begehrlichen Blick bemerkt.
«Ich denke, dass das keine gute Idee ist. Vergiss nicht wieder, dass ich dich zu meinem Schutz engagiert habe und nicht für mehr. Lass uns lieber dem Hinweis nachgehen.» Tessas Stimme klang ungewohnt kühl und geschäftsmäßig und wirkte wie eine kalte Dusche. Ihre Worte trafen ihn, aber sie hatte recht. Je schneller er körperlichen Abstand zu ihr gewann, desto besser. Es war besser so für sie beide, wenn sie sich auf keine Verpflichtungen einließen.
Ihre Hose lag zu seinen Füßen. Er hob sie auf und reichte sie ihr. Mit unbewegter Miene nahm sie sie entgegen und streifte sie schweigend über.
Wenig später gingen sie die Treppe zur Bar hinab, wo Seth auf sie wartete.
19.
Der Frühnebel, der morgens über dem Hudson River lag, löste sich nur langsam auf. Im Sonnenschein glitzerten die Häuserfassaden auf der anderen Flussseite silbrig. Kreischende Möwen begleiteten die Fähren auf dem Fluss, in der Hoffnung von den Passagieren etwas Essbares zu ergattern.
Tessa starrte aus dem Fenster und beobachtete das Treiben. Die Stille im Wagen bedrückte sie. Seitdem sie Nathanaels Zimmer verlassen hatten, schwiegen sie sich an.
Während der Fahrt hatte
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