Nathanael
Arme nahm. Seine Nähe war so tröstlich, dass sie seine Worte von vorhin für einen Augenblick vergaß. Sie lehnte den Kopf an seine Brust und lauschte seinem Herzschlag. Der gleichmäßige Rhythmus beruhigte sie.
Nach einer Weile umfasste er sanft ihr Kinn und hob es an. Als sich ihre Blicke begegneten, flackerte erneut Begehren in ihr auf. Dieser Glanz in seinen Augen brachte jeden Widerstand zum Schmelzen. Ihre Lippen öffneten sich wie von selbst in Erwartung eines Kusses. Dabei hatte sie sich doch fest vorgenommen, Abstand zu halten.
Er beugte sich zu ihr herab.
«Wir wollten doch vergessen …», sagte sie heiser und löste sich aus der Umarmung, ohne ihn anzusehen. Es war wirklich fatal, so sehr Sklavin des eigenen Verlangens zu sein. Sie wandte sich ab.
«Was hoffst du zu finden?» Ihre Stimme klang erstaunlich normal, obwohl sie Mühe hatte, sie zu kontrollieren.
«Ich weiß es nicht, irgendeinen Hinweis. Etwas, das mir was über den Aufenthaltsort des Dämons verrät oder den des Gefallenen.»
Sie atmete tief ein. «Also gut, dann lass uns gehen.»
«Bist du wirklich okay?» Er klang aufrichtig besorgt.
«Ja, es geht schon.»
Nathanael ging zum Kofferraum und öffnete ihn. Neugierig folgte ihm Tessa. Ein schwarzer Hartschalenkoffer mit einem elektronischen Schloss lag darin. Nathanael tippte eine Zahlenkombination ein. Dann öffnete er den Deckel. Sie war erstaunt über die Waffensammlung, die auf dunkelblauem Samt gebettet im Sonnenlicht glänzte.
Keine Pistolen oder Gewehre, sondern blank polierte Schwerter in allen Größen, silberne Messer mit Sichelklingen und sternförmige Shuriken, Wurfscheiben, der sich auch die Ninja Japans bedient hatten. Angesichts dieser tödlichen Sammlung wurde Tessa ganz flau im Magen.
Erst jetzt wurde ihr die Tragweite ihrer Entscheidung bewusst. Das Vorhaben war riskant und könnte sie vielleicht das Leben kosten. Aber Hazel war es ihr wert, die Wahrheit herauszufinden.
«Was nimmst du davon mit?»
Ihre Frage wurde beantwortet, als er in der Innenseite seiner Weste, die er über dem Sweatshirt trug, zwei Messer mit Sichelklingen und zwei Shuriken verstaute.
«Auf das muss ich jetzt wohl besser verzichten, wenn wir nicht alle Aufmerksamkeit auf uns lenken wollen», erklärte er und zeigte auf eines der Schwerter mit gewellter Klinge, das unter seiner Weste hervorlugen würde.
Er redete darüber, als handelte es sich um Spielzeugwaffen. Die Klinge blitzte im Sonnenlicht und blendete Tessa. Trotz der Gefährlichkeit musste sie zugeben, dass die prachtvoll gearbeitete Waffe eine gewisse Faszination auf sie ausübte. Kleine, fremdartige Ornamente waren am Rand eingraviert. Eines davon glich Nathanaels Tätowierung am Hals.
«Beeindruckend. Was bedeuten diese Zeichen?» Vorsichtig streckte Tessa ihren Finger aus, berührte das Schwert aber nicht.
«Es sind die Engelssymbole, sieben an der Zahl. Jeder Erzengel hat sein eigenes. Das hier ist Michaels und damit meines.» Nathanael zeigte auf das Zeichen mit dem doppelten V und dann auf seinen Hals.
«Sieben Zeichen? Ich dachte immer, es gibt nur vier Erzengel.»
«Nein, es gibt sieben.»
Er klappte den Kofferraum schwungvoll zu, schloss den Wagen ab und ergriff Tessas Arm. Sie hätte ihn gern noch mehr darüber befragt, aber sie wollte das alles hier lieber so schnell wie möglich hinter sich bringen.
Nathanael steuerte zielstrebig auf die Mitte des Geschehens zu, offenbar um in der Nähe des Opfers nach Spuren zu suchen. Sie fragte sich, nach welcher Art von Hinweisen er suchte. Engelsfedern?
«Halte dich gut an mir fest, okay? Sollte uns etwas trennen, dann bleib, wo du bist. Ich bin sofort bei dir. Hast du mich verstanden?»
Tessa nickte, aber ihr war bei dem ganzen Vorhaben mulmiger zumute als gedacht. Hoffentlich würde Nathanael recht behalten und der Tote war nicht mehr zu sehen.
Sie hatte Glück, denn an der Stelle, wo sich zuvor die Leiche befunden hatte, leuchteten nur noch weiße Kreidestriche auf dem Asphalt, die die Lage des Toten skizzierten, der bereits weggebracht worden war. Dennoch musste Tessa wegsehen.
Nathanael schob sich unerbittlich weiter durch die Reihen, die wie Mauern fest im Boden verankert schienen. Alle verfolgten die Arbeit der Polizisten, die das Areal abmaßen und einige Gaffer nach Zeugen befragten.
Tessas Finger krallten sich in Nathanaels Arm, um ihn nicht in der Menge zu verlieren. Dabei hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Ihr Blick suchte unter den Anwesenden
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