Nathanael
zu. «Können wir Ihnen helfen?», fragte sie.
Die schwarze Wimperntusche auf dem bleichen Gesicht war verlaufen und ihr Lippenstift verschmiert.
«Keiner kann mir helfen. Er ist tot! Tot! Verstehen Sie?»
Neue Schluchzer schüttelten ihren Körper. Tessa beugte sich zu der Weinenden.
«Kannten Sie den Mann, der sich vom Dach gestürzt hat?», fragte sie und legte der Frau zum Trost die Hand auf den Arm.
Die Blonde nickte. «Ja. Er war mein Ex-Mann. Wir sind zwar schon seit über fünf Jahren geschieden, aber immer noch gute Freunde. Ich wollte ihn heute besuchen.»
Sie schniefte laut und zog aus ihrer Hosentasche ein Taschentuch, mit dem sie sich die Tränen abtupfte.
«Oh, das tut mir sehr leid.»
Es war schwer, jemandem in dieser Situation Trost zu spenden und die richtigen Worte zu wählen. Im Schmerz verschlossen sich viele und öffneten sich oft nur Menschen, denen das Gleiche zugestoßen war. Deshalb brachte Tessa Hazel ins Spiel.
«Ich habe auch erst vor Kurzem meine beste Freundin verloren. Sie ist auf die gleiche Weise gestorben.»
Sie konnte noch immer nicht sagen, dass Hazel sich das Leben genommen hatte. Es kam einfach nicht über ihre Lippen. Die Blonde sah auf.
«Wirklich? Wissen Sie, sein Selbstmord traf mich … völlig unerwartet. Ich kenne Oliver schon lange. Er hatte keine Probleme im Job oder so und seit Kurzem sogar eine neue Freundin, mit der er glücklich war. Er hat nie eine Andeutung gemacht, dass er sich das Leben nehmen wollte. Und jetzt das! Ich bin fassungslos. Warum hat er nicht mit mir über seine Probleme geredet? Wenn ich doch nur etwas geahnt hätte, vielleicht …»
Die Blonde brach erneut in Tränen aus.
«Sie dürfen sich jetzt keine Vorwürfe machen. Sie konnten das nicht verhindern.»
«Und wenn doch? Vielleicht habe ich was übersehen? Irgendein Zeichen. Hört man nicht immer wieder, dass Selbstmörder ihren Tod vorher ankündigen? Aber nichts, gar nichts habe ich gemerkt.»
Sie schnäuzte sich laut ins Taschentuch.
«Sie sollten sich wirklich keine Vorwürfe machen. Ich habe bei meiner Freundin vorher auch nichts bemerkt.»
«Tatsächlich? Und haben Sie erfahren, weshalb Ihre Freundin sich das Leben genommen hat?»
Tessa schüttelte den Kopf und forschte im Gesicht der Fremden. Würde sie mit ihr über ihre Vermutungen reden können? Als Tessa sich nach einer Weile zu einer Frage durchgerungen hatte, kam ein Polizist mit weit ausholenden Schritten auf sie zu.
«Mrs Reardon, ich würde gerne noch einmal mit Ihnen sprechen.» Er winkte die Blonde zu sich heran. «Bitte, es dauert nur einen Moment.»
Die Frau löste sich aus ihrer Starre und lief ihm entgegen. Reardon? Wo hatte sie diesen Namen schon einmal gehört? Natürlich. Oliver Reardon! Das war einer der Séance-Teilnehmer. Tessa wurde schlagartig übel.
«Was ist?», fragte Nathanael leise.
«Hazel hat kurz vor ihrem Tod an einer Séance teilgenommen. Und dieser Oliver Reardon gehörte auch zu dieser Runde. Bis auf den Leiter des Kreises haben sich alle anderen das Leben genommen. Es muss etwas mit dieser Séance zu tun haben, davon bin ich überzeugt», raunte sie ihm zu.
«Wirklich nur eine Séance? Manche nutzen solche Sitzungen auch für Dämonenbeschwörungen.»
Tessa wirbelte herum und sah zu ihm auf. «Was sagst du da? Du meinst, die könnten mit dieser Sitzung die Dämonen gerufen haben?»
Ihr Magen krampfte sich bei der Vorstellung zusammen, Hazel könnte diese Höllenbrut herzitiert haben. Sie sah flüchtig zu Mrs Reardon hinüber, die sich noch immer mit dem Polizisten unterhielt. Ob sie von der Séance wusste?
«Es wäre schon möglich, dass er durch sie hergekommen ist. Doch dazu bedarf es gewisser Fähigkeiten.»
«Und die wären?»
«Einer der Teilnehmer müsste ein Nephilim, der sich Luzifer verschrieben hat, oder ein Gefallener sein.»
Nathanaels Worte brachten Tessa zum Grübeln.
«Dann kann das nur der Leiter gewesen sein», überlegte sie.
«Ich sagte: könnte. Vielleicht war es wirklich nur eine harmlose Séance.»
Tessa fing Mrs Reardon ab, nachdem sie sich von dem Polizisten verabschiedet hatte.
«Mrs Reardon? Darf ich Ihnen noch eine Frage stellen?»
Die Blonde winkte ab. «Bitte nicht, ich bin total erschöpft und muss gleich noch zum Police Department, um meine Aussage zu bestätigen.»
Die Tränen waren zwar versiegt, aber ihre Augen gerötet und die Wangen hohl und blass. Sie tat Tessa leid, aber das war jetzt ihre einzige Chance, mehr über den Verlauf der
Weitere Kostenlose Bücher