Nathaniel und Victoria, Band 2: Unter höllischem Schutz (German Edition)
Mitgefühl.
»Sie haben keinen Verstandesengel?«, wiederholte ich verwundert.
»Ja, na und?«, blaffte mich Willy an. »Hat dir das etwa dein Engel verraten? Halt dich gefälligst aus meinen Angelegenheiten raus, verstanden?« Willy blaffte direkt in Ramiels Richtung. Ich hätte schwören können, dass er Ramiel sehen konnte. Auch Ramiel wich verstört ein paar Schritte zurück.
»Ich wurde ohne einen Verstandesengel geboren!«, brummte Willy. »Kommt eben vor. Geburtsfehler.«
Zu meiner Überraschung nickte Ramiel. »Er sagt die Wahrheit. So was gibt's.«
»Alles war in Ordnung«, murmelte Willy ärgerlich. »Bis plötzlich mein Bruder Benedikt aufgetaucht ist. Ich war fünf!«
»Sie … äh … hatten Probleme mit ihrem kleinen Bruder?« Ich verstand kein Wort.
»Benedikt war zwei Jahre älter als ich. Und er ist wirklich plötzlich aufgetaucht. «
»Sein Bruder muss ein Erdengänger sein«, begriff Ramiel und betrachtete Willy nachdenklich. »Er wurde wahrscheinlich als Kind in Willys Familie eingeschleust.«
»Was?«, fragte ich schockiert. »Wie geht denn so was? Ein fremdes Kind, das plötzlich in einer Familie auftaucht?«
»Keiner hat's gemerkt«, murmelte Willy. »Keiner außer mir. Aber ich war nur der dumme kleine Junge, der plötzlich seinen Bruder verleugnet hat.«
»Wenn ein Erdengänger in die Welt der Menschen eingeschleust wird, dann manipulieren die Verstandesengel die betroffenen Menschen so, dass sie den neuen Erdengänger akzeptieren«, erklärte Ramiel leise. »Für Willys Familie und sein Umfeld war Benedikt immer schon da gewesen , verstehst du?«
»Oh mein Gott«, flüsterte ich. »Weil Sie keinen Verstandesengel haben, waren Sie der Einzige, der gemerkt hat, dass mit Benedikt etwas nicht stimmt?«
»Wer glaubt schon einem Fünfjährigen?« Willy lachte bitter. »Aber wenigstens Benedikt war verständnisvoll. Er hat mir alle Fragen beantwortet und mich gelehrt, die Engel und die Dämonen zu spüren, wenn ich sie schon nicht sehen konnte. Er konnte sie ja sehen …«
Die Geschichte war irgendwie so gruselig, dass ich verstehen konnte, warum Willy nicht ganz dicht war. Keiner mit so einer Kindheit konnte ganz normal im Kopf sein.
»Wenigstens habe ich noch meinen Schutzengel und meinen Gefühlsengel, im Gegensatz zu dir.«
So, wie Willy mich wie jetzt direkt anstarrte, lief mir eine Gänsehaut über den Rücken. Anne trat so fest gegen mein Schienbein, dass es wehtat.
»Können wir endlich gehen?«, flüsterte sie. »Jetzt?«
»Okay«, erwiderte ich und wir standen auf. Während wir das Lokal verließen, hörte ich Willy vor sich hinmurmeln.
»Ich weiß, warum ihr euch an sie dranhängt, ihr widerlichen Parasiten! Schade um das arme Mädchen. Sie wird es nicht lange machen. Niemand hält durch ohne Schutzengel, niemand …«
Ich drängte Anne zur Tür hinaus.
»Hey, du hast mich gefragt«, erinnerte ich Anne, als wir im Auto saßen und ich sie nach Hause fuhr. »Du wolltest wissen, was los ist!«
Anne, die mit blassem Gesicht abwechselnd ihre Hände und mich anstarrte, zuckte kaum merklich mit den Schultern. »Ist es wahr, was Willy gesagt hat? Dass niemand ohne Schutzengel durchhält?«
»Keine Ahnung«, erwiderte ich düster. »Es ist eine Woche her, dass Nathaniel … fort ist, und ich bin noch da, oder?«
»Hast du keine Angst?«
»Doch«, sagte ich leise. »Ehrlich gesagt, habe ich eine Scheißangst! Mir platzt fast der Schädel, weil ich mir dauernd vorstelle, was Nathaniel gerade in der Hölle durchmachen muss … und die Inferni machen diese Gedanken noch schlimmer. Ich fürchte mich davor, dass Lazarus irgendwann kommen wird, um mich zu holen, aber weißt du was? Es ist besser, jetzt, wo ich mit dir darüber reden kann.«
Anne legte ihre Hand auf meine und drückte sie.
Als ich zu Hause ankam, schlug mir ein ungewöhnlicher Geruch entgegen. Er hatte nichts mit dem süßlichen Verwesungsgestank der Inferni zu tun. Verwundert folgte ich dem Geruch bis in die Küche.
»Vicky! Schön, dass du da bist!« Ludwig stand mit einem Glas Wein in der Hand neben dem Herd, während Rita gerade etwas in einem Topf umrührte, das wie Pastasauce roch.
»Was ist hier los?«, fragte ich steif.
»Wir machen einen Familienabend!« trällerte Rita fröhlich. Der Dämon, der aus ihrer Brust hing, kreischte und streckte seine Arme nach mir aus.
Instinktiv griff ich nach der erstbesten Waffe und bekam ein kleines Tomatenmesser zu fassen. Rita griff lächelnd nach dem
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