Nauraka - Volk der Tiefe
hinaus gelebt, und zwar deswegen, wie es scheint, weil wir aneinander gebunden waren und er nie aufgehört hat, nach mir zu suchen!«
Erenwins Kiemen stellten sich steil auf. Er erinnerte sich an jedes Wort, das der Schemen gesagt hatte. Und es stimmte haargenau mit dem überein, was Turéor nun behauptete. »Aber das ist doch einfach nicht möglich …«, hauchte er.
»Was ist da drin geschehen?«, verlangte Jemuma energisch zu wissen.
Erenwin sah betroffen zu ihr. »Janwe … Janwe hat uns alle verraten … das ganze Volk der Nauraka … an einen Landgänger, der in einem magischen Spiegel steckt …« Er schüttelte den Kopf. »Er sprach mit einem merkwürdigen Akzent, Onkel, aber wieso konnte ich ihn so gut verstehen?«
»Weil die Hochsprache von uns stammt«, antwortete Turéor. »Wir sind das älteste Volk Waldsees und waren einst die Lehrer aller! Das alles ist damals verlorengegangen, und nichts ist uns mehr geblieben. Es ist vorbei und zu spät, der Alte Feind hat letztendlich endgültig gesiegt, und jetzt kann ich ihm nicht mehr entkommen.«
»Nun, wenn wir wissen, wer er ist, können wir auch etwas gegen ihn unternehmen. Was für einen Namen trägt er?«, fragte Jemuma.
»Keinen. Wir nannten ihn nur den Namenlosen. Wir haben nie herausgefunden, wer er war, oder von welchem Volk er stammte. Er war ein nicht greifbarer Schrecken, todbringend und alles zerstörend.« Turéor erholte sich zusehends von seinem tiefen Schock, doch es fiel ihm schwer, darüber zu reden. Er konnte nur stockend sprechen.
»Wir dürfen uns nicht länger zurückhalten«, mahnte Erenwin. »Jetzt müssen wir kämpfen!«
»Aber Erenwin, dein Eid …«, wandte die Amme ein, doch er lachte nur kalt.
»Der ist beendet, Jemuma! Ich bin nicht mehr daran gebunden, denn Janwe hat seinen Teil des fürstlichen Eids gebrochen, indem er uns alle verriet und Luri an den Alten Feind verkauft hat!«
» Was? «, schrien Turéor und Jemuma gleichzeitig.
Erenwin nickte heftig. »Das habe ich euch noch nicht erzählt. Janwe hat Luri verkauft, und anschließend mich, von dir gar nicht erst zu reden, Onkel. Damit bin ich von meinem Schwur befreit!«
»Worauf warten wir dann noch?«, rief Turéor und schnellte von plötzlicher Kraft erfüllt empor. Er schien geradezu von innen heraus zu leuchten. »Holen wir Lurdèa und verschwinden von hier!«
Turéor riss die Tür auf und schwamm in die Mitte der Halle. Die Wachen hatten tatsächlich den Befehl befolgt und keinen hereingelassen. Die Halle war vollkommen leer, auch Janwe befand sich nicht hier.
Langsam zog der alte Nauraka das Schwert aus der Scheide von seinem Rücken, und Erenwin war erstaunt, seinen Onkel auf einmal so entschlossen zu sehen; in diesem Moment sah er aus wie ein Krieger und nicht nur wie der Schatten eines solchen.
»Kommt her, alle!«, rief er durch die Halle. »Fordert mich heraus, und ich zeige euch, wie man kämpft und nicht herumhampelt, so wie ihr!«
Die Wachen wirkten verdutzt. Erenwin nutzte die Ablenkung, um sich zu Luris Gemach vorzutasten.
»Na los, ich warte!«, donnerte Turéor und hielt das Schwert hoch. »Bin ich nur von feigen Memmen umgeben?«
Allmählich wurden sie neugierig. Zwei Soldaten verließen ihren Posten und kamen langsam näher.
»Beruhigt Euch, edler Herr«, sagte der eine.
»Wir meinen es nur gut«, der andere.
»Behandelt mich nicht wie einen Irren«, schnaubte Turéor. »Versucht, meine Klinge zu schlagen! Ich werde euch Respekt lehren, ihr fischgrätigen Knaben, und es euch austreiben, hinter meinem Rücken über mich zu lachen!«
Verunsichert verharrten die beiden. Die anderen Wachen kamen nun auch langsam näher.
»Edler Herr, bitte …«
»Kreuze deine Klinge mit meiner oder verschwinde, ich bin nicht zum Reden hier!«
Einer war nun schon fast in Schlagweite. »Dieses Schwert kann man tatsächlich benutzen?«
Turéor lachte freudlos. »Ich weiß, es scheint schon so sehr mit mir verwachsen, dass keiner mehr daran denkt, dass es eine Waffe ist. Nur deswegen darf ich als Einziger überhaupt stets das Schwert tragen, das war schon in Darystis so.« Er seufzte, doch das Glimmen in seinen Augen wirkte nunmehr bedrohlich, seine Miene äußerst entschlossen.
Erenwin bewunderte seinen Onkel in diesem Moment von ganzem Herzen und tat im Stillen Abbitte, dass er ihn früher nicht für ernst genommen hatte. Dass er seinem Alter nicht genügend Ehrfurcht gezollt hatte.
»Ja, das Schwert kann man benutzen«, fuhr Turéor fort,
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