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Nayidenmond (German Edition)

Nayidenmond (German Edition)

Titel: Nayidenmond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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nicht aus. „Wir schwören, unsere Opfer nicht leiden zu lassen. Egal, ob Mensch oder Tier, wem wir den Tod bringen, soll schweigend gehen können. Auch, wenn wir dich nicht töten sollten, du warst unser Opfer. Es war Unrecht, dich so zu quälen, dass du schreien musstest.“
    „Und das war der Grund, dass du all das auf dich genommen hast? Deinen Auftrag nicht ausgeführt hast, deine Gefährten und all das, woran du glaubst, verrietest?“
    Diesmal merkte Rouven, was er tat und starrte erschrocken zu ihm auf. Iyen lächelte, er konnte es nicht zurückhalten. „Nein“, sagte er. „Es war nur der Auslöser. Gehorchen und töten, das ist unser Leben. Dieses Leben wollte ich nicht mehr führen. Noch bevor ich dir begegnet bin, hatte ich fliehen wollen, wusste nur nicht, wohin ich gehen sollte.
    Ich habe mit sechs Jahren das erste Mal einen Menschen umgebracht. Davor hat man mich Tiere töten lassen. Schon bevor ich laufen konnte, begann meine Ausbildung zum vollkommenen Oshanta.“ Zorn wallte in ihm hoch, Schmerz, und grausige Erinnerungen, die er bereits seit zu vielen Jahren zu vergessen versuchte. „Ich kann dir nicht viel erzählen, ich habe Eide geschworen, die Geheimnisse der Oshanta zu wahren. Auch, wenn ich ihnen nicht mehr diene, ich bin einer von ihnen und werde es immer sein.“ Iyen schüttelte den Kopf und drängte die Gefühle zurück, die ihn zu überrollen drohten. „Man lehrt uns, Schmerzen zu ertragen. Du könntest mir alle Knochen im Leib brechen, und ich würde nicht schreien. Nur wenige überleben. Niemand bewahrt dabei seine Seele, wir sollen überhaupt keine Seele oder irgendetwas Menschliches besitzen. Wir sind die Entweihten .“ Iyen ballte die Fäuste und starrte Rouven an, in dessen Augen er die gleiche fassungslose Abscheu und Wut gespiegelt sah, die er selbst spürte.
    „Woher kommen diese Kinder?“, fragte der junge Mann tonlos. „Jene zwanzig Kinder, von denen neunzehn sterben müssen damit ein Einziger zu einem Monster heranwachsen kann? So hattest du es damals gesagt.“
    „Sie werden …“ Iyen brach ab. „Das gehört ebenso zu meinem Schweigeeid. Aber ich denke, du vermutest das Richtige.“ Er wollte nicht darüber reden, dass man Huren ungewollte Bälger abkaufte, ausgesetzte Säuglinge aus Tempeln stahl, manchmal auch einfach kleine Jungen aus Armenvierteln entführte. Der Gedanke, dass seine Mutter ihn damals fortgeworfen hatte, wie einen alten Lumpen, verfolgte ihn schon, seit er davon wusste.
    „Warum bist du anders, Iyen? Du bist kein gefühlsloses Etwas, du zeigst Zorn, ich habe Zweifel bei dir gesehen, Schmerz, und damals am Feuer etwas, das Mitgefühl zumindest nahe kam. Du hast etwas in dir, das gut ist, ich wusste es von Anfang an.“
    Iyen betrachtete ihn ungläubig – Mitgefühl ?, ging jedoch nicht darauf ein.
    „Ich wusste schon länger, dass mit mir etwas nicht stimmt. Alle anderen ziehen Befriedigung aus dem Tod ihrer Opfer, für mich war es nur eine unangenehme Pflicht. Warum ich noch Gefühle empfinde, einen kleinen Rest Seele bewahrt habe, weiß ich nicht. Mir war klar, dass ich nicht so weitermachen konnte. Getötet habe ich ohne Mitleid oder Reue, doch immer häufiger fragte ich mich nach dem Sinn all dessen. Warum sollte dieser Mann sterben, wenn sein Auftraggeber viel gefährlicher war? – Hm, ohne gegen mein Schweigegelübde zu verstoßen, kann ich das nicht erklären. Nun, wir Oshanta folgen einem Kodex. Eigentlich sollte es so sein, dass wir die Welt von gefährlichen und bösartigen Menschen bereinigen. Dafür wurde die Bruderschaft einst geschaffen. Dass es eher Gold ist, das entscheidet, wer leben darf und wer sterben muss, war keine Überraschung für mich … Aber dass der Kodex bei der Auswahl der Opfer überhaupt keine Rolle mehr zu spielen scheint, das schon. Ich habe mit niemandem darüber geredet, meine Gedanken, meine Gefühle versteckt. Bis Bero und Jarne, die ich seit vielen Jahren als Kampfgefährten betrachtet habe, begannen, ein Opfer sinnlos zu quälen und ich viel zu lange gewartet und den Schreien gelauscht habe, bevor ich eingeschritten bin.“
    Schweigend blickten sie sich an. Sie waren sich sehr nahe, zwischenmenschlich wie räumlich gesehen. Rouven betrachtete ihn mit weit aufgerissenen Augen, intensiv und forschend. Iyen fühlte sich versucht wie nie zuvor in seinem Leben. Er wollte ein Lächeln auf diese Lippen zaubern, diesen Körper streicheln, bis er sich vor Lust wand, durch die dunklen Haare wühlen, einen

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