Neandermord
wovon ich rede.«
Ich wusste es genau. Ich hatte Google Earth auch schon genutzt - nicht zum Ermitteln, sondern eher als Computerspiel, wenn mir langweilig war. Am Anfang wirkte das Ganze erschreckend. Da zeigte sich zuerst unser guter alter Erdball, den man mit der Maus drehen konnte wie einen Globus, der im Zimmer steht, und dann ließ sich jedes Winkelchen der Welt heranzoomen. Man sah die Autodächer in der Friedrich-Ebert-Straße, die Sonnenschirme der Urlauber auf Malle oder Panzer in Afghanistan. Mir sagte das nur eines: Die Welt war eine winzige Kugel, und sie war zerbrechlich, als ob sie aus Glas wäre.
»So, jetzt schau mal.« Jutta drehte mir den Bildschirm zu. Von grüner Markierung gesäumt, schlängelte sich eine Straße über den Bildschirm.
»Das Neandertal«, sagte ich, zumal ich etwas unterhalb des Geschlängels den Haltepunkt Erkrath-Hochdahl eingezeichnet sah. Der Park-and-ride-PIatz, wo ich auf weitere Nachrichten von Krüger gewartet hatte.
»Ganz recht. Und wenn mich nicht alles täuscht, ist das hier der Tatort.«
Der kleine Pfeil, den Jutta über das Touchpad bewegte, wanderte vom Bahnhof aus nördlich, bis er an eine dünne, ebenfalls ziemlich verschlungene blauen Linie stieß: die Düssel. Links davon führte ein Sträßchen aus dem Grün heraus. Es verzweigte sich kurz vor der Hauptstraße in einen Ast, der zu einem Friedhof führte, und einen anderen, an dem Wohnhäuser angesiedelt waren. Jutta führte den Pfeil auf dieses Sträßchen, und plötzlich öffnete sich eine Sprechblase, die uns über dessen Namen informierte.
»Thekhaus«, las ich.
»Wenn ich mich recht entsinne, ist das ein kleines Seitental, das von dem Weg an der Steinzeitwerkstatt rauf nach Hochdahl führt«, sagte Jutta. »Über dieses Sträßchen könnte der Mörder geflohen sein. In der Dämmerung hat ihn da sicher keiner gesehen.«
»Und dann hat er sich auf dem Friedhof versteckt.«
»Zum Beispiel. Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit.« Sie führte den Zeiger etwas weiter nach links. »Du hast mir erzählt, dass ihr in einem alten Steinbruch wart, Herr Krüger und du.«
»So sah das aus. Es war eine große seitliche Einbuchtung in das steile Tal.«
»Und die Schüsse kamen von oben.«
»Ziemlich sicher. Und der Mörder hat dann auch gleich von oben dafür gesorgt, dass die Beweisstücke, die ihn entlasten, runtersegelten. Die Pistole und das Foto.«
»Dann war er hier. Oberhalb des Kessels ist Wald, siehst du? Und dann geht es in etwas wie eine Weide über. Man kann praktisch ungesehen auf die Straße gelangen und dann seelenruhig ins Auto steigen. Während du noch auf die Polizei gewartet hast, war er schon weg.«
Ich dachte nach und starrte auf die kleinen grauen Klötzchen entlang der Hauptstraße. »Wenn es nicht zu gefährlich wäre, würde ich mich gerne dort umsehen und mal ein paar Leute befragen. Vielleicht musste er auf seiner Flucht auch durch einen Privatgarten? Und vielleicht hat ihn dabei jemand gesehen? Bei dem warmen Wetter sind die Leute doch abends gerne draußen.«
Jutta nickte. »Ja, das wäre eine Möglichkeit. Aber gefährlich ist es. Du kannst auch davon ausgehen, dass die Polizei sich dort bereits umgehört hat.«
»Ich glaube, das lassen wir lieber.«
»Oder ich gehe hin. Ich könnte mich als Mitarbeiterin der Staatsanwaltschaft ausgeben. So wie du es immer tust.«
Ein paar Sekunden lauschte ich in die Landschaft und sah den Insekten zu, die sich am Rand des ausgefahrenen Weges tummelten. In der Sonne glänzte ein Spinnennetz. Dann wurde mir die leise akustische Kulisse aus Baulärm wieder bewusst.
»Probieren wir mal etwas anderes«, sagte ich.
»Was meinst du?«
»Ruf mal ein Suchprogramm auf. Und gib den Namen ›Kotten Bau‹ ein.«
»Ist das eine Firma?«
»Es sind die Jungs, die da hinten das Wellness-Hotel hochziehen. Der Name stand auf dem Schild.«
Jutta klickte und tippte. Eine nüchterne graue Website erschien. Ein Foto zeigte einige gewerbliche Gebäude auf einem Firmengelände. Unter dem Logo rechts reihten sich einige Links: »Über uns«, »Referenzen«, »Leistungen«, »Kontakt«, »Impressum«.
»Die Firma ist in Wuppertal«, sagte Jutta. Sie hatte »Kontakt« angeklickt.
»Probier mal Referenzen.«
Die Liste war lang. Verzeichnet waren Warenhäuser in Wuppertal, Düsseldorf und Köln. Mir fiel der Hertie-Abriss in Elberfeld ein, doch damit hatten die hier wohl nichts zu tun.
»Sind da auch Hotels aufgeführt?«, fragte
Weitere Kostenlose Bücher