Nebel über dem Fluss
Resnick erwartete schon, dass Skelton aufspringen und ihr Feuer geben würde, aber er tat es nicht.
»Der Ehemann«, fuhr Helen fort, »wusste offenbar von der Affäre, eine ganze Weile schon, aber er hatte nichts gesagt, weil die Firma ziemlich schlecht dastand und ernicht noch zusätzliche Schwierigkeiten wollte.« Sie bog den langen Hals nach hinten und blies Rauch zur Zimmerdecke hinauf. Skelton starrte sie wie hypnotisiert an. »Als sich zeigte, dass die Firma so oder so pleite machen würde, stellte er seiner Frau ein Ultimatum. Entweder du machst Schluss oder ich lasse mich scheiden. Die Frau, Susan, wäre sofort bereit gewesen, den Partner zu wechseln, aber ihr Liebhaber machte einen Rückzieher. Er war mit einer heimlichen Affäre völlig zufrieden und hatte überhaupt keine Lust auf feste Bindung und Ehe.« Der flüchtige Blick zu Skelton war wahrscheinlich reiner Zufall. »Dieses ganze Hin und Her hatte Susan krank gemacht, sie war beim Arzt gewesen, schluckte alle möglichen Tabletten gegen Stress, Depressionen, weiß der Himmel was. Es gibt Hinweise, allerdings völlig unbelegt, dass sie mindestens einmal versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Mit Sicherheit wissen wir aber, dass sie einer Freundin mehr als einmal gesagt hat, sie wolle mit keinem der beiden Männer mehr etwas zu tun haben. Sie wollte nur noch weg.«
»Und da hat sie die Sache mit dem verlassenen Wagen inszeniert, um ihre Spur zu verwischen, und ist nach Spanien oder sonst wohin verschwunden?«, fragte Resnick. »Das wurde doch damals angenommen?«
Helen schnippte Asche in den Metalleimer unweit ihrer Füße. »Vieles wies darauf hin. Aus der Wohnung fehlten ein Koffer und Kleidung, und ihr Reisepass wurde nie gefunden. Aber ich habe es nicht geglaubt.«
»Warum nicht?«
Helen Siddons lächelte hinter blaugrauen Rauchschwaden. »Wegen der Lösegeldforderung.«
Jetzt hatte sie Resnicks volle Aufmerksamkeit. »Von einem Lösegeld habe ich nie etwas gehört«, sagte er.
»Wir baten um eine absolute Nachrichtensperre und bekamen sie.«
»Und Sie sind der Ansicht, dass hier gerade das Gleiche passiert?«, fragte Resnik. »Im Fall Nancy Phelan. Dass es um Lösegeld geht?«
Helen Siddons ließ sich Zeit. »Selbstverständlich«, sagte sie. »Sie nicht?«
Eine halbe Stunde und mehr war vergangen. Skelton hatte irgendwo eine halbe Flasche Teacher’s aufgetan, sie tranken ihn aus dicken Keramikbechern. Mitternacht ging vorbei, ohne dass sie es merkten, und niemand brachte einen Toast aus. Asche rieselte ab und zu auf Helen Siddons’ blassblaues Kleid hinunter, während sie redeten.
Schritt für Schritt führte sie sie mit akribischer Genauigkeit durch die verschiedenen Stadien des Falles Rogel. Das erste Erpresserschreiben wurde in den frühen Morgenstunden bei den Eltern der Vermissten unter der Haustür durchgeschoben und blieb fast einen ganzen Tag lang unbemerkt, da der Umschlag zwischen einen Stapel alter Zeitungen und Kataloge geraten war. Als nachmittags um vier ein Anruf folgte, hatte Susan Rogels Mutter keine Ahnung, worum es ging, nahm ihn als taktlosen Scherz und legte auf. Als jedoch der nächste Anruf kam, hatten sie den Brief gefunden. Darin wurde ein Lösegeld von zwanzigtausend Pfund in alten Scheinen gefordert.
Rogels Vater, ehemaliger Oberst der Royal Army, war ein Mann, der nicht mit sich spaßen ließ. Er stellte unmissverständlich klar, dass er und seine Frau ohne einen Beweis nicht daran dachten, auch nur einen Penny zu bezahlen. Außerdem setzte er sich unverzüglich mit der Polizei in Verbindung.
Drei Tage lang rührte sich nichts.
Am vierten Tag entdeckten die Rogels bei ihrer Heimkehr vom Supermarkt, wo sie ihren Wocheneinkauf erledigt hatten, dass eines der kleinen Fenster hinten im Haus gewaltsamgeöffnet worden war. Sie vermuteten einen Einbruch und durchsuchten sofort das ganze Haus, aber auf den ersten Blick schien nichts gestohlen worden zu sein. In einem der Gästezimmer, dem, das Susan stets bewohnte, wenn sie bei ihren Eltern zu Besuch weilte, fanden sie jedoch in einer Schublade, säuberlich in Seidenpapier eingeschlagen, eine Bluse ihrer Tochter. Sie hatte sie getragen, als sie das letzte Mal in einer Tankstelle an der Straße nach Wells beim Tanken gesehen worden war.
Die Eltern wollten das Lösegeld bezahlen; als sie um Zeit baten, um das Geld aufzutreiben, wurde ihnen eine Frist von drei Tagen eingeräumt. Sie wurden angewiesen, das Geld im Hof eines Pubs oben auf den Mendips zu
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