Nebelflut (German Edition)
rufen, klingelte es. Wieder Schritte, dann die überraschte Stimme seiner Mutter. Patrick näherte sich der Zimmertür und lauschte auf das Geschehen im Erdgeschoss. Er glaubte, eine zweite Stimme auszumachen, männlich und fremd. Ob seine Eltern Besuch erwarteten, wusste er nicht. Er wusste sowieso sehr wenig über ihr Leben.
Patrick griff nach der Klinke und öffnete die Tür ein Stück.
»… nur ein paar Minuten, Misses Namara.«
»Geht es wieder um Patrick? Wir haben Ihnen beim letzten Mal schon alles gesagt!«
Patricks Puls beschleunigte sich. Die Polizei.
»Beruhigen Sie sich bitte.« Die Stimme des Polizisten klang einfühlsam und freundlich. Patrick fiel auf, dass sie weder McCarthy noch Callahan gehörte. Vielleicht arbeitete die Dubliner Polizei mit der von Glencullen zusammen.
»Kommen Sie rein.«
»Wer ist denn da?« Jetzt hatte sich auch Jack dazugesellt.
Sei ein Mann und geh runter , flüsterte ein Engel – oder vielleicht auch ein Teufel – auf Patricks Schulter, aber das würde er gewiss nicht tun.
»Vielleicht setzen wir uns, Misses Namara. Es wird eine Weile dauern«, erklärte der Beamte. So wie er sich aufführte, hätte man meinen können, Patrick sei tot. Er war froh für seine Eltern, dass sie wussten, dass er am Leben war.
Nachdem er sie und den Polizisten ins Wohnzimmer gehen gehört hatte, verließ er so leise er konnte das Gästezimmer und näherte sich der Treppe.
»Es gibt neue Erkenntnisse in dem Fall, wegen dem Sie vor vier Tagen befragt worden sind. Wir wissen jetzt, dass die ganze Angelegenheit etwas mit mehreren Kindesentführungen zu tun hat.«
»Mein Gott«, stieß Evelyn hervor und auch Patrick wurde hellhörig. Sein erster Gedanke galt Tammies Sicherheit.
»Wir gehen davon aus, dass die beiden Toten, die in Brittas aufgefunden wurden, zwei US-stämmige Kindesentführer waren«, fuhr der Beamte fort.
»Also haben sie unsere Tochter entführt?« Evelyns Stimme bebte.
»Es ist davon auszugehen. Und es ist auffällig, dass Ihr Sohn auf irgendeine Art und Weise in diesen Fall verwickelt ist. Von daher müssen wir Sie bitten, uns noch mal ein paar Fragen zu beantworten.«
Patrick spürte, wie sein Herz pochte. Scheinbar hatten sie ihn wieder im Visier. Er hörte Papier rascheln, dann wieder den Polizeibeamten: »Kennen Sie eine der Personen auf den Fotos hier?«
»Sind das … Das sind alte Fotos von den beiden Entführern, richtig?«
»Ja, Misses Namara.«
»Und die anderen?«
»Zwei Jungen, die möglicherweise von ihnen entführt worden sind.«
»Ich habe keinen von denen je gesehen!«, beteuerte Jack. »Und du, Evelyn?«
Seine Mutter schien ebenfalls zu verneinen, denn der Polizist ging nicht weiter auf die Bilder ein. »Gut, dann hätte ich noch eine weitere Bitte an Sie.« Er legte eine bedeutungsschwere Pause ein, ehe er fortfuhr: »Könnten Sie uns die Ereignisse von damals noch einmal genau schildern? Die Entführung Ihrer Tochter?«
Seine Eltern protestierten nicht, aber das Schweigen, das ihrer Schilderung vorausging, sagte eigentlich alles. Patrick war sauer, weil der Beamte die alten Wunden abermals aufriss.
»Also schön. Wir waren auf einer Geburtstagsfeier. Bei meinem Bruder, drüben in Gloucestershire. Nur meine Frau und ich.«
»Und Ihre Kinder waren allein?«
»Patrick war fünfzehn!« Die Stimme seines Vaters klang aufgebracht. »Und es waren andere Zeiten damals. Man hat nicht hinter jeder Ecke einen lauernden Perversen vermutet.«
»Jack …«
»Entschuldige, Evelyn.«
Patrick konnte förmlich sehen, wie sein Vater die Hand seiner Mutter drückte. Die beiden waren so arglos. So gutgläubig.
»Am Morgen nach unserer Abreise bekamen wir einen aufgeregten Anruf. Patrick war aufgewacht und hatte Amy wecken wollen. Aber ihr Bett war leer.«
Patrick versuchte durchzuatmen, doch seine Lungen waren wie versteinert. Er starrte die Treppe herunter, auf das Erkerfenster neben der Tür.
»Der Junge hat die Polizei alarmiert und das ganze Dorf aufgescheucht. Sofort haben alle angefangen, die Felder und den Wald nach ihr abzusuchen. Wir haben uns selbstverständlich auch gleich auf den Heimweg gemacht, aber als wir ankamen, gab es immer noch keine Spur von ihr.«
»Hat die Polizei etwas herausgefunden?«
»Tz!« Jacks Stimme war nun voller Bitterkeit. »Nur, dass es am Haus keine Einbruchsspuren gab. Nicht an den Türen, nicht an den Fenstern.«
»Sie meinen …«
»Ich meine, dass unsere Tochter entweder nach draußen gelaufen ist oder
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