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Nebelflut (German Edition)

Nebelflut (German Edition)

Titel: Nebelflut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine d’Arachart
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Schließlich war es sein Vater und obwohl Patrick geglaubt hatte, gegen alles gewappnet zu sein, überraschten ihn seine Worte.
    »Grace hat angerufen.«
    Patrick ließ die Gabel sinken und blickte seinen Vater an. Er hatte sich noch gar keine Gedanken darüber gemacht, ob seine Eltern schon von ihrer Trennung wussten.
    »Was hat sie gesagt?«
    Seine Hoffnungen, dass Grace die Sache vielleicht heruntergespielt hatte, wurden sogleich von seiner Mutter zunichte gemacht. »Sie hat uns von deinen Verdächtigungen erzählt … und davon, dass du dich in der letzten Zeit anders verhältst.«
    »Eigentlich sagte sie …« Sein Vater legte die Gabel weg, auf die er der Länge nach eine Karotte gespießt hatte. »… dass du nicht mehr du selbst bist.«
    Patrick lachte, aber es war kein echtes Lachen und fühlte sich auch mehr wie ein tuberkulinisches Husten an.
    »Ich wüsste nicht, was daran komisch ist.« Jacks Stimme war dunkel, sein Gesicht leblos. Seine Mutter blickte auf ihr Essen, als mache allein der Umstand, dass sie gerade aßen, jeden Konflikt unmöglich.
    »Ich hab’ keine Ahnung, wieso sie hier anruft und die Unschuldige spielt, aber ihr könnt mir glauben, dass–«
    Schneller, als Patrick es ihm zugetraut hätte, war sein Vater aufgesprungen, hatte ihn am Arm gepackt und ihn ebenfalls in die Höhe gezogen.
    »Jack!«, hörte er seine Mutter noch rufen, doch sein Vater zerrte ihn mit sich, ohne auf sie zu achten. Er stieß Patrick ins Gästebad und wies auf den Spiegel über dem Waschbecken, der in den Ecken schon Rost ansetzte.
    »Sieh dich an! Sieh dich an und dann sag mir noch mal, dass es dir gut geht!«
    Patrick war völlig perplex. Er hatte seinen Vater ewig nicht mehr derart aufgebracht erlebt und wusste nicht, was er tun oder sagen sollte, um die Wogen zu glätten. Er betrachtete sein eigenes Spiegelbild, bleich, ausgezehrt und unrasiert, doch er war nicht fähig, etwas dazu zu sagen. Stattdessen fühlte er sich förmlich übermannt von dem Gefühl, das Unglück, das ihn verfolgte, nun auch hierher gebracht zu haben. Als sei er Überträger einer gefährlichen Krankheit, die nun auch seine Eltern befiel, einfach, weil er hergekommen war. Im Spiegel begegnete sein Blick dem seines Vaters und aus dem Esszimmer hörte er seine Mutter schluchzen.
    »Da siehst du, was du ihr antust!«, kommentierte Jack, ohne den Blick von Patrick zu wenden.
    »Ich bin wirklich müde, Dad …«
    »Du bist doch gerade erst aufgestanden!«
    Patrick antwortete nicht und für ein paar Sekunden herrschte eine Stille, die nicht weniger beängstigend war als der plötzliche und unerwartete Ausbruch seines Vaters.
    »Reiß dich gefälligst am Riemen oder ich sorge gleich morgen dafür, dass du dir Hilfe holst!« Jack wandte sich ab und verließ das Bad. Auch Patrick trat aus dem kleinen Raum und schlich sich zur Treppe, ohne einen Blick ins Esszimmer zu werfen. Sein Vater redete leise auf seine Mutter ein und sie schien sich langsam zu beruhigen, doch das änderte nichts an der furchtbaren Gewissheit, Schmerz über seine Eltern gebracht zu haben.

-74-
    Three, four, knock at the door …
    Amy hatte nicht mehr die Kraft, die Reime zu flüstern, also dachte sie sie nur vor sich hin. Sie stellte sich vor, dass sie mit den anderen Mädchen im Wald spielte oder wie früher manchmal mit ihrem Bruder. Wenn sie es sich eine Weile vorstellte, wurde es fast echt.
    Five, six, pick up sticks …
    Dann konnte sie den Wald und das frische Heu riechen und den Saft schmecken, den ihnen Mum manchmal nach draußen brachte. Beim Spielen merkte man nicht, dass man Durst hatte, sondern erst, wenn man ein kaltes, volles Glas in die Hände gedrückt bekam.
    Seven, eight, lay them straight …
    Beim Verstecken spielen wollte sie immer suchen, weil sie gut darin war. Die anderen versteckten sich auf Ästen, hinter Büschen, manchmal sogar in ausgehöhlten Baumstämmen, aber sie fand sie immer und dann ärgerten sie sich und wollten sich gleich noch einmal verstecken. Manche von ihnen glaubten, dass Amy schummelte, aber das machte sie nicht. Sie sang immer das ganze Lied, bevor sie suchen kam. Als sie auf der Suche nach den anderen den Wald durchkämmt hatte, war sie zum ersten Mal dem schwarzen Mann begegnet. Er hatte sich hinter einem Baum verborgen und sie angesehen.
    Nine, ten, a good fat hen … eleven, twelve …
    Die Tür ging auf.
    »Albia«, krächzte Amy nur. »Albia … Ich bin …«
    »Halt deine Schnauze!« Die Gitter erzitterten unter einem

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